Alfred Steinheimer

Eine ärgerliche Amtshandlung

Wer alljährlich eine Steuererklärung abgeben muss, hat als Normalbürger nicht selten Schwierigkeiten, die Fragen und Hinweise in den Formblättern zu verstehen und beantworten zu können, die letztlich zur Feststellung einer gerechten steuerlichen Belastung benötigt werden.

Steuern, so notwendig sie für die Funktion eines Staatswesen sind, zahlt sicher niemand gern, aber besonders ärgerlich ist es schon, mit einer ungerechten Forderung belastet zu werden, die bis zu einer Aufklärung zusätzliche Schreibarbeit und Ärger verursacht. Wer meint, dass die Abgabe in Naturalien, wie die Besteuerungsform der Bauern, der Zehnt, über Jahrhunderte bis teilweise in das 19. Jahrhundert hinein gehandhabt wurde, einfacher zu durchschauen war, wird bei der Durchsicht alter Zehntverzeichnisse leicht eines Besseren belehrt.

Waren die Naturalabgaben schon in drei verschiedenen Arten unterteilt, so gab es auch unterschiedliche Empfänger. Zwar gehörte der Zehnt meist der Kirche, aber es konnte erschwerend hinzukommen, dass es Überschneidungen in den Abgrenzungen der Sprengel zweier Pfarreien gab oder unterschiedliche weltliche Amtsbereiche für die Abgaben zuständig waren. Das „Steueraufkommen“, das im kirchlichen Bereich für die Besoldung der Pfarrer und der Schulmeister diente, außerdem für den Unterhalt aller kirchlichen Gebäude, konnte so leicht zum Streitobjekt zwischen der Kirche und einer herrschaftlichen Behörde werden, wie nachstehend geschildert wird.

In diesem Streitfall, vor mehr als 300 Jahren hier in Roßtal, ging es um die Belastung eines Bauern, der ein „Heilsbronner Klosterunterthan“ war und ein „Gütlein“ in Clarsbach besaß. Das Dorf Clarsbach und die Felder dort waren frei von der Zehntabgabe nach Roßtal. Im Jahre 1663 kaufte nun dieser Bauer von einer Witwe in Raitersaich zwei Morgen Ackerland54 in der Raitersaicher Flur und mit diesem Kauf wurde festgelegt, dass er dafür alljährlich an das Klosteramt in Heilsbronn, dem er steuerpflichtig unterstand, vier Metzen Korn55 abzuführen hatte.

Sein „Gütlein“ in Clarsbach und auch die neuerworbenen Felder in der Raitersaicher Flur sollten aber weiterhin frei vom Zehnt nach Roßtal bleiben. Dieser Vorgang wurde rechtmäßig in einem Steuerbuch, Salbuch genannt, eingetragen, in das die aus einer gemeinschaftlichen Verwaltung zwischen den markgräflichen Ämtern, dem Klosteramt Heilsbronn einerseits und dem Oberamt Cadolzburg andererseits entstehenden Steuerfälle registriert wurden. Die Festlegung der Zehntfreiheit des hinzugekauften Ackerlandes in der Raitersaicher Flur war, wenn auch schon sehr lange bestehend, offenbar ein Ausnahmefall, da Raitersaich als Dorf, einschließlich seiner gesamten Flur, zehntpflichtig zum Gotteshaus St. Laurentius nach Roßtal war.

Ob es der Bauer mit niemanden verderben wollte oder ob er, was wohl eher anzunehmen ist, in Unkenntnis handelte, ist nicht bekannt. Jedenfalls wurden seit dem Erwerb des Ackers in der Raitersaicher Flur im Jahre 1663, über alle Jahre von ihm der Zins rechtmäßig an das Klosteramt nach Heilsbronn und außerdem der Zehnt, mit dem das Flurstück ja nicht belastet war, an die Pfarrei Roßtal abgeführt.

Es scheint, dass dieser Eintrag im Salbuch weder dem Pfarrer Johann Stegmann (in Roßtal von 1660–1674) noch seinem Nachfolger Johann Vogtherr (in Roßtal von 1674–1697), bekannt war, denn als ein nachfolgender Hofbesitzer, irgendwie aufmerksam gemacht, sich im Jahre 1681 plötzlich weigerte, den Zehnt abzuführen, wurde er für die Obrigkeit zum „Steuersünder“. Der Pfarrer hätte sich, verwundert oder verärgert, über die Weigerung des Bauern, beim Richter in Roßtal, beim Oberamt in Cadolzburg oder im Klosteramt Heilsbronn erkundigen können. Ob allerdings der damalige Richter hier am Ort über die Rechtslage Bescheid wusste, ist fraglich, wie es sich später auch bei einem seiner Nachfolger zeigte. So handelte der Pfarrer und holte, sich auf sein vermeintliches Recht berufend, eigenmächtig das, was der Bauer ihm vorenthalten wollte.

Im Zehntbuch56 ist folgender Eintrag des Pfarrers zu lesen:

„ Dieses Jahr hat A. W. von zwei Morgen Felds am Prünster Weg so zu seinem Gut gehören, keinen Zehnt geben wollen, weßwegen ich dann mit zweien Bürgern von Roßstall hinaus und den Zehnt als von rechtswegen dem Pfarrer zuständig, aus dem Acker genommen, waren vier Korngarben“

Nach dieser „Zwangsvollstreckung“ blieb es wieder 25 Jahre so wie es vorher war: Der Bauer trug, offenbar unsicher geworden, die Doppelbesteuerung, also die Abgabe zum Klosteramt Heilsbronn ebenso wie den Zehnt zur Pfarrei nach Roßtal. Gestützt auf die Angaben in einem Zehntbuch, das seit dem Jahre 1609 geführt, die Raitersaicher Abgaben enthielt, hatte der Pfarrer keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der „Steuerpflicht“ des Bauern.

Dies ging so bis zum Herbst des Jahres 1706; Pfarrer war seit dem Jahre 1698 Magister Ernst Georg Schülin. Auch er kannte keine andere Abmachung über den Zehnt als die, die er bei seinem Amtsantritt von seinem Vorgänger erfahren hatte: Außerdem bezog er ja selbst seit seiner Amtsübernahme, schon acht Jahre lang, diese Zehntleistung.

Es geht aus den Unterlagen nicht hervor, ob es eine Missernte gab oder welch andere Umstände es waren, die den Hofbesitzer veranlassten, gegen die doppelte Belastung seines Ackers vorzugehen.

Es kam jedenfalls wieder zu einer Verweigerung der Abgaben. Der Pfarrer, der sich um diese Einnahme, die nach markgräflicher Verordnung ja Teil seiner und des Schulmeisters Besoldung war, geschmälert fühlte, reagierte aus unserer Sicht heute unverhältnismäßig und unbedacht, was ihm später viel Kopfzerbrechen und rechtfertigende Schreibereien kosten sollte.

Der Richter Johann Wilhelm Sartorius (in Roßtal von 1703 bis 1709), den eigentlich die Hauptschuld an dieser nachfolgenden, ungerechten Amtshandlung trifft, unterstützte die Aktion, indem er „Mousquetiere“ zur Eintreibung des verweigerten Zehnts abstellte. Mit seiner Amtshilfe wurden dem Bauern die Garben aus der Scheune genommen und mit einem Wagen nach Roßtal gebracht. Den in den Augen des markgräflichen Richters gegen die Obrigkeit aufmuckenden „Revoluzzer“ nahm man „gefänglich“ mit. Nun eskalierte diese Affäre, denn der zu Unrecht behandelte Hofbesitzer wandte sich in seiner Not, unverständlich warum nicht schon die vielen Jahre vorher, an den Klosterverwalter Georg Samuel Bachmann in Heilsbronn, dem er steuerpflichtig unterstand. Der Bauer wollte geklärt haben, ob er künftig den jährlichen Zins nach Heilsbronn oder den Zehnt nach Roßtal zahlen solle, eine Doppelbelastung wolle er aber keinesfalls mehr tragen.

Es muss zwischen den Roßtaler Amtspersonen, dem Pfarrer und dem Richter und dem Heilsbronner Klosterverwalter, alle drei unterstanden dem Markgrafen, kein gutes nachbarschaftliches Verhältnis bestanden haben, wie die Reaktion des Klosteramtmannes zeigt.

Dieser schrieb am 31. Mai 1707 an den Markgrafen Wilhelm Friedrich57 (Regierungszeit: 1703–1723) nach Ansbach und beschwerte sich über die unverhältnissmäßige „violenta turbatio“ (gewalttätige Aktion), wie er es formulierte, des Roßtaler Richters gegen den Clarsbacher Bauern, zwecks Eintreibung des dem Pfarrer nicht zustehenden Zehnts.

Bachmann schilderte den Vorgang und beendete sein Schreiben:

„Als habe solches hiermit unterthänigst vorstellen und gehorsambst bitten sollen, Euer Hochfürstl. Durchlaucht geruhen gnädigst dem gemelten Pfarrer Schülin anbefehlen zu lassen, dass er die unbillig abgenommenen Garben wieder herausgeben, den von mehr als 200 Jahren her zehentfrei erweislichen Acker unangefochten und sich nach den zehn Geboten nach seines Nächsten Äcker und Vermögen nicht solle gelüsten lassen“.

Die hochfürstliche Hofkanzlei in Ansbach wies nach kurzer Zeit den Roßtaler Richter Sartorius und den Pfarrer Schülin über das Oberamt Cadolzburg mit „einem strengen Befehl“ an, darüber zu berichten, warum trotz der bestehenden Zehntbefreiung des Ackers, eigenmächtig Gewalt ausgeübt wurde.

Der Bericht an die Hofkanzlei ist im Pfarrarchiv nicht enthalten, wohl aber einige Abschriften von Schreiben des Pfarrers, davon eine an eine namentlich nicht genannte, ihm aber offenbar gleichgestellte Person und ein anderes an den Roßtaler Richter Sartorius.

Aus dem Erstgenannten geht hervor, dass sich Pfarrer Schülin immer wieder auf das Zehntbuch aus dem Jahre 1609 beruft und beteuert „Seit 25 Jahren war es wieder stille, nun aber kommt es wieder mit Sturm über den Bach daher“ und „… dass alle Jahre bis auf das Jahr 1681 stets ohne Murren der Zehnt von ganz Raitersaich an alle seine Vorgänger abgegeben wurde“.

Angesichts der fundierten rechtlichen Hinweise des Heilsbronner Klosteramtmanns, kamen Schülin offenbar doch Bedenken, denn unsicher geworden, fragt er in seinem Brief, am Schluss der Schilderung der Amtshandlung: „… findet mein hochgeehrter Herr Vetter, dass ich ein unrechtmäßiges Gut behalte?“

Eine Bemerkung im Beschwerdebrief des Georg Samuel Bachmann an den Markgrafen traf den Pfarrer, wie man nachfühlen kann, aber besonders schwer, denn das Schreiben, welches er an den Roßtaler Richter zwecks gemeinsamer Abstimmung des angeforderten Berichts an die hochfürstliche Hofkanzlei sandte, schließt: „es wird sich hernach schon mit Gott erweisen, ob meine seeligen Vorgänger und ich oder Herr Verwalter Bachmann fleißiger in die Kinderlehr gangen und die zehn Gebot gelernt haben.“

Er nennt auch namentlich zwei alte Männer, die schon 40 oder 50 Jahre in Raitersaich wohnen und die als Zeugen bestätigen könnten, dass es niemals bei Abgaben des Zehnts „zu Unruhen“ gekommen sei.

Das Ende dieses Streitfalles ist leider nicht bekannt. Da in den Folgejahren der Name des Bauern nicht mehr im Abgabenbuch verzeichnet ist, darf angenommen werden, dass er von dieser „steuerlichen Doppelbelastung“ befreit wurde.

Interessant ist ein Vermerk des Pfarrers Schülin auf der Kopie des Heilsbronner Beschwerdebriefes an den Markgrafen. Die Abschrift, von der markgräflichen Hofkanzlei gefertigt, wurde dem Pfarrer zur Stellungnahme übersandt.

Schülin pflegte häufig die an ihn gerichteten Schriftstücke mit kurzen Kommentaren zu versehen, die oft seine Gemütsbewegungen erkennen lassen.

Der Vermerk trägt keine Datierung und wurde, wie man aus dem nachstehenden Text erfährt, wenig später nach dieser für den Pfarrer und Richter so unangenehmen Geschichte gefertigt.

Er schreibt:
„Dieser unruhig-ungerechte Bachmann ist bald nach diesem Schreiben da er bevor auch bei einem allerdings eigenmächtig unternommenen Reparaturwerk die antique Kirch im Closter Heylsbronn recht auf Carlstadtianisch58 bild- und altarzerstörischer Weise (da man solche Verwüstung genügsamer Weise im Kreuzgang noch sehen kann) fast zu unterst und oberst gedrehet, hat er bald darauf seine ungerechten und ungetreuen Unternehmungen in einem scharfen Arrest anbei sein Schwiegervatter Herr Kammerrat Majern büßen müssen, da er als (unleserlich) ins Closter gebracht, allwo er verstorben und seine Hinterbliebenen in großer miseri hinterlassen, da sein einziger Sohn aus Hoffnungslosigkeit dem Soldatenleben sich ergeben, unwissend ob er noch im Leben.“

Konnte Pfarrer Schülin die Anschuldigungen des Klosteramtmanns nicht vergessen, er habe die zehn Gebote übertreten und sich am Gut seines Nächsten bereichert? Fühlte er sich als Opfer dieses „unruhig-ungerechten“ Mannes, indem er nun dessen Fehlleistungen aufzeigte?

Der Vermerk des Pfarrers ist mehrdeutig formuliert. Bei weiteren Nachforschungen59 konnten die willkürlich vorgenommenen Renovationsmaßnahmen Bachmanns in der Heilsbronner Kirche weder ausgeschlossen noch bestätigt werden; wohl aber wird von Verfehlungen des Klosteramtmanns im Jahre 1711 berichtet.

In einer Untersuchung wurde ihm eine hohe Verschuldung des Klosteramts zur Last gelegt; ob es um finanzielle Verfehlungen seinerseits ging, geht aus der Beschreibung nicht eindeutig hervor. Jedenfalls kam er nach Ansbach in Arrest und wurde aus dem markgräflichen Dienst entlassen.

Über seinen weiteren Lebensweg schweigt die angeführte Literatur.

Nachtrag:

Bachmann war zu einem Zeitabschnitt Verwalter des Klosteramts in Heilsbronn, als die nach der Reformation und der Auflösung des Klosters dort eingerichtete Fürstenschule ihre trübste Periode erlebte.

Die Schulleitung konnte der Disziplin- und Zuchtlosigkeit der Alumnen, die aus beiden Fürstentümern Ansbach und Bayreuth kamen und Söhne angesehener Bürger waren, nicht mehr Herr werden.

Bachmann berichtete alle diese Geschehnisse und Übergriffe nach den beiden genannten Hofkanzleien, die jedoch die Berichte lange nicht wahrhaben wollten. Auch der Rektor der Schule sowie die Lehrer und der Prediger, die ihre Hilflosigkeit durch die Berichterstattung Bachmanns angeprangert sahen, spielten die Vorgänge herab. Wurde Bachmann, der in seinen Berichten nicht mit derben Ausdrücken sparte, bei der Regierung in Ansbach vorstellig, um durch die Einsetzung einer Untersuchungskommission eine Änderung der Zustände herbeizuführen, so erhielt er aus Bayreuth einen Verweis, weil er einseitig gehandelt habe. Die Entlassung des Rektors, dessen Sohn an den Umtrieben beteiligt war, im Jahre 1699 brachte keine Besserung.

Auch unter der neuen Leitung gab es harte Auseinandersetzungen des Verwalters mit dem Lehrkörper der Fürstenschule, die einen Höhepunkt im Jahre 1711 erreichten. Auslöser waren diesmal schwere Schlägereien zwischen den Scholaren und Handwerksburschen, die dem Verwalter, wegen seines Verhaltens in diesen Streitfällen, einen scharfen Verweis einbrachten und letztlich, siehe oben, das Ende seiner markgräflichen Beamtenlaufbahn.

Anmerkungen:

54Hans Kreutzer: Alte Maße und Gewichte in Mittelfranken, S. 346; Fläche entspricht etwa 0,93 Hektar
55ebenda, S. 336, entspricht etwa 62 kg
56Archiv der Evang.-Luth. St.-Laurentius-Kirche, Roßtal, Akte Nr. 275
57Günther Schuhmann: Die Markgrafen von Brandenburg-Ansbach S. 184
58Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt (1480–1541) Reformationstheologe, erst Martin Luther nahestehend, später radikalistischer Schwärmer
59Georg Much: Geschichte von Kloster Heilsbronn 3. Band, 1880, S. 112–136; für den Literaturhinweis danke ich Herrn Heinz Schmutterer, Heilsbronn


Quelle:
Alfred Steinheimer, St.-Laurentius-Kirche zu Roßtal – Geschichte und Geschichten um die Pfarrei, Roßtal 2001, S. 47 ff.