Geschichtlich1 ist Roßtal einer der merkwürdigsten Orte Frankens. Leider fehlen Urkunden über die früheste Zeit. Sicher ist der Ort einer der ältesten der ganzen Gegend. Man vermutet sogar nicht ohne gewichtige Gründe dort eine vorgeschichtliche Ansiedlung. Bruschius meldet außerdem, daß an dem Ort der jetzigen Kirche ein Schloß gestanden habe, sodaß auch Möglichkeit eines ehemaligen Königshofes dortselbst nicht ohne weiteres von der Hand weisen ist. Die Bedeutung des Ortes in früher Zeit kennzeichnet auch die erste Nennung Roßtals im Jahre 954 durch Widukind von Corvey. Am Tage nach dem Reichstag in Langenzenn (16. Juni 954) versuchte Kaiser Otto der Große vergeblich Roßtal zu stürmen, in dessen Mauern sich die Anhänger seines Sohnes Ludolf verteidigten. Im Jahre 955 soll der Ort durch die Ungarn zerstört worden sein. Sagen berichten auch, daß Nürnberg von Roßtal aus gegründet worden sein soll. Vom 12. Jahrhundert ab befand sich der Ort im Besitze der Grafen von Abenberg und dann der Burgrafen von Nürnberg. Kaiser Ludwig der Bayer verlieh im Jahre 1328 dem Ort Stadtrechte und Gerichtsbarkeit (noch im Jahre 1787 über 64 Orte). Im Städtekrieg 1388 erlitten die Nürnberger bei Roßtal eine Schlappe. Dagegen brannten die Nürnberger im ersten marktgräfler Krieg 1450 den Ort auf dem Berg nieder. Im 30jährigen Kriege mußte Roßtal ebenfalls viel erdulden. Aus Spargründen gab man im Jahre 1821 die magistratliche Verfassung zu Gunsten der landgemeindlichen auf, jedoch ohne Verlust der Marktrechte. Es besteht aber die Möglichkeit, jederzeit den alten Stand wieder einzuführen.
Roßtal ist auch durch seine Kirchenbefestigung sehr interessant, die den Hauptschutz des oberen Ortes gegen die Bergseite zu übernehmen hatte.
Auf der Westseite ist noch die alte Wehrmauer aus großen Quadern in etwa 3–4 Meter Höhe gut erhalten. Auf den anderen Seiten ist die Mauer kaum noch brusthoch. Ein schönes Bild gewährt das Tortürmchen in der Mitte der Nordmauer. Der untere Teil in Quaderbau wurde 1494 erbaut. Das Fachwerkgeschoß darüber dürfte dem Ende des 17. Jahrhunderts angehören. Das Glöcklein darin goß 1694 Mich Frank von Nürnberg.
Wenden wir uns nun der Kirche zu, so sind wir überrascht von ihrer Mächtigkeit im Verhältnis zur Größe des Ortes. Wenn man jedoch erfährt, daß 1735 nicht weniger wie 32 Orte der Umgebung (heute davon noch 22) hierher eingepfarrt waren, so ist damit die Größe dieses Gotteshauses ohne weiteres klar. Die Kirche gehört sicher also zu den Urpfarreien. Wann die erste Kirche erbaut worden ist, ist unbekannt. Der Patron ist der hl. Laurentius. Da nach der Ungarnschlacht auf dem Lechfeld am Laurentiustag 955 die Verehrung dieses Heiligen besonders aufkam, ist ein gewisser Anhalt gefunden. Im Jahr 955 soll ja auch Roßtal durch die Ungarn zerstört worden sein. Es ist also möglich, daß die in der Folgezeit neuerbaute Kirche dem hl. Lorenz geweiht wurde. Doch muß man voraussetzen, daß schon vorher bei der Bedeutung des Ortes (954!) in Roßtal eine Kirche vorhanden war. Caspar Bruschius berichtet, daß die Pfalzgräfin bei Rhein Erbelgard (= Irmingard), eine Schwester der hl. Kaiserin Kunigunda († im Jahre 1033), die Kirche erbaut habe. Er gibt ferner an, daß die Grabmäler der hl. Erbelgard und ihres Gemahls, des Bayernherzogs Ernst zu seiner Zeit (1533) in der Kirche noch zu sehen waren. Die Persönlichkeiten dieser beiden Personen sind unsicher. Jedoch berichten Roßtaler Stiftungsrechnungen von 1507, 1512 und 1517 einwandfrei von der „grufft von der Irmelgart“ und von „Herzog Ernst Grab“, 1515 auch von „Sanct Irmengart Altar“. Der Geschichtsschreiber Veit Arnbeck berichtet (um 1500): „Die Kirche zu Roßtal ist sehr reich geschmückt und hat neun Altäre; keine ist ihr ähnlich 15 Meilen in der Runde bei Nürnberg“. Im Jahre 1507 wurden Chor und Turm neugedeckt und der Ölberg an der Ostseite des Chores bemalt, 1518 die Kirche mit Ziegeln gepflastert. Im 30jährigen Krieg schlug 1624 und 1627 der Blitz in die Kirche, 1627 so, daß „alles Holzwerk am Turm und Langhaus samt allen Altären und Ingebäuen zu Grund und Asche gegangen“, darunter 6 geschnitzte und gemalte Altäre, Kanzel, Taufstein, 6 Glocken, Epitaphien und Gemälde. Auch in den Jahren 1698 und 1706 brannte der Turmhelm aus, ohne jedoch das Langhaus zu schädigen. Im Jahre 1769 wurden die Ecktürmchen (Pfefferbüchsen!) vom Turme abgebrochen. Der Turm sah also damals noch so ähnlich aus wie der von Dietenhofen oder von Burgfarrnbach. Untersucht man die Roßtaler Kirche in ihrem Äußeren genauer, so findet man leicht heraus, daß das Langhaus der älteste Teil ist. Vor allem die Nordwand zeigt sehr schön den romanischen Bestand. Im sauberen Quaderverband sitzen kleine romanische Rundbogenfenster. Auch der Sockel zeigt im Profil deutlich romanische Formen, ebenso das Dachgesims (Hohlkehle). Der Sockelrundstab legt sich auch um das quadratische Feld, in das später (1518) die spätgotische Brauttüre eingefügt wurde. Von einem plastischen Fries ist auch ein Kopf erhalten, der ziemlich versteckt im Dachgesims eingelassen ist. Ähnliches gilt auch von der Südwand. Dort zeigt das westliche Fenster Reste eines romanischen Flachfrieses. An der Westwand läßt sich feststellen, daß ursprünglich der Giebel niedriger war. Die romanischen Mauerteile haben also die verschiedenen Brände verhältnismäßig gut überstanden. Nach den spärlichen Zierformen dürften jedoch diese Mauerteile erst der Zeit um 1200 angehören, kaum dem Zeitalter der hl. Irmengard ums Jahr 1000. Über das Innere der romanische Kirche läßt sich vorerst nichts aussagen. Erst durch Grabungen würde man hier näheren Aufschluß erhalten. Mit größter Wahrscheinlichkeit dürfte es sich jedoch um eine flachgedeckte Pfeilerbasilika handeln von der Größe des heutigen Langhauses. Sicher würde man aber auch noch auf die Fundamente des ersten, vorromanische Gotteshauses stoßen. Aus spätgotischer Zeit (kurz nach 1400) stammen dann der schön gegliederte, weithin sichtbare Turm im Westen und der Chor samt der Sakristei im Osten und Norden. Am Turm findet sich ein markgräfliches Wappen, darin u. a. der Hohenzollernschild und die bayerischen Rauten, die auf die Gemahlin des ersten Kurfürsten Friedrich von Brandenburg, auf Elisabeth von Bayern, gen. Schönelse († 1442) hindeuten. Auch die Zeichen der beiden ausführenden Baumeister und solche der Steinmetzen lassen sich am Turm feststellen. Der Chor hat 6 hohe spätgotische Fenster. Er hat im Innern ein einfaches Rippengewölbe mit Rosenschlußstein. Der Ölberg außen ist gute Durchschnittsarbeit (um 1500). Die Sakristei hat auf der Westseite eine Piscina (Ausguß für Meßwasser). Spätgotisch sind auch die großen Spitzbogenfenster mit Stabwerk und die Portale auf der Süd- und Nordwand des Langhauses.
Die Ausstattung der Kirche an alten Schnitzaltären ist 1627 verbrannt. Die später angeschafften sind nicht wertvoll. Ein die Reformation betreffendes Gemälde mit einer geschnitzten Kreuzgruppe, ein weiteres mit 4 biblischen Szenen, die steinerne Kanzel von 1628, der Flachreliefstein für den Leutpriester Johann Neff († 1512), einige Bronce-Epitaphien, eine Figur des hl. Laurentius sind die wenigen Kunstwerke der Kirche selbst. Aber eine Kostbarkeit ersten Ranges ist der prächtige spätgotische Sakristeischrank, der außer den gottesdienstlichen Gefäßen auch noch zwei Totenkronen aus der Werkstatt des Gürtlermeisters Hollenbach in Ansbach enthält. Erwähnenswert ist auch das schöne Geläute. Die Glocken wurden teils in Nürnberg, teils in Forchheim gegossen (meist i. J. 1702). Eine sehr schöne steinerne Marienfigur (um 1330) kam vor Jahren ins Germanische Museum, ebenso ein kleiner spätgotischer Schnitzaltar, der auf der Mensa der Unterkirche stand. Der Altar zeigt im Schrein eine Messe des hl. Gregorius, in den Flügeln die hl. Katharina und Elisabeth. Der Schnitzer: „der Meister des Roßtaler Kryptaaltares“ hat auch den hl. Kreuzaltar in der Hospitalkirche von Hersbruck geschaffen. Er steht der Richtung des Veit Stoß nahe. Seine Reliefbilder wirken fast wie Teigmodel.
Das Ehrwürdigste an der Kirche von Roßtal ist die Krypta, die etwa unter der Osthälfte des Langhauses liegt. Sie ist das „Rätsel“ von Roßtal.
Durch eine Falltüre gelangen wir in diese Unterkirche. Sie ist eine Hallenkrypta mit fünf Schiffen und vier Jochen. Ihre Länge beträgt etwa 10,25 Meter. Ihre Breite mit rund 12 Metern ist die gleiche wie die der oberen Kirche. Zwölf Pfeiler tragen das Gewölbe aus Bruchmauerwerk. Das Gewölbe ist aber kein Kreuzgewölbe, wie ein flüchtiges Hinsehen vermuten lassen könnte, es sind Tonnengewölbe in der Breitrichtung, die von etwas niedrigeren Stichkappen in der Länge geschnitten werden. Es ist dies also eine Wölbetechnik, die auf sehr hohes Alter schließen läßt. Die Scheitelhöhe der Tonnen liegt etwa 2,5 Meter über dem Boden. Die 12 Pfeiler (vom Boden bis zum Gewölbeansatz ungefähr 2 Meter hoch) stehen auf schlichten Füßen aus Platte mit anschließender schwacher Kehle. Die nahezu quadratischen Schäfte bestehen jeweils aus einem Stein. Darauf sitzt eine Art von Kapitäl mit Kämpfer, aus zwei Steinen gebildet, die in schwacher Kehle sich nach oben erweitern, der obere stärker als der untere, sodaß nur ein ganz schwacher Übergang bzw. Absatz zwischen Schaft, Kapitäl, Kämpfer und Gewölbegrat sich bildet. Keines der Kapitäle trägt einen plastischen Schmuck, der eine genauere Deutung zuließe. Die Wände (mit Ausnahme der um 1400 erneuerten Nordwand) sind in ziemlich regelmäßigem Bruchmauerwerk aufgeführt. Die kleinen Fenster (rund oder rundbogig) darin sind teilweise aus einem einzigen Stein ausgemeißelt, wieder ein Zeichen hohen Alters.
Die Ostwand trägt annähernd in der Mitte eine fast halbrunde Apsis (Durchmesser etwa 2,25 Meter) mit Kuppelwölbung. In der Apsis steht ein alter Altartisch aus sauber gefügten Quadern mit entleerter Reliquiennische. In der Apsiswand über der Mensa ist ein Loch (früheres Fenster?) in die Wand gebrochen, durch das der Schutt unterm Kirchenchor sichtbar wird, rechts unterhalb davon eine kleine Nische zum Abstellen von Altargeräte. Beiderseits der Apsis sitzen in Verlängerung des 2. und 4. Schiffes zwei Fensternischen mit länglichen Fenstersteinen wie an der Südwand. In der Verlängerung der beiden äußersten Schiffe heben sich in der Ostwand deutlich im Halbbogen geschlossene und mit Quadern vermauerte Öffnungen ab, deren Deutung lange nicht sicher war. Eingehende Untersuchung hatte als Ergebnis zwei etwa 2 Meter breite Seitenabsiden. Es läßt sich seitlich an den Bögen deutlich ein stumpfer Winkel feststellen, der auf eine Halbkuppel hinweist, die ihrerseits wieder halbkreisförmige Nischen voraussetzen. Die Quaderfüllung läßt sich nicht ohne Gefahr entfernen, da auf diesen Teilen die noch romanische Ostwand der Kirche ruht. Eine kleine Grabung 1929 förderte außen im Winkel zwischen Ostwand und Chor den romanischen Quaderunterbau mit Basisverbreiterung zutage.
Die Westwand zeigt in der Mitte eine größere Nische und in Verlängerung der äußersten Schiffe kurze Gangstücke mit Tonnenwölbung. Diese Gangstücke führten früher längs der Umfassungsmauer in das Langhaus der Kirche. Der südliche – heute noch der Zugang zur Krypta – wurde bei der Einrichtung der Kirchenstühle im rechten Winkel abgebogen, da sonst der Zugang zur Krypta zuviel Platz weggenommen hätte. Der nördliche wurde zugesetzt. Auf der Südwand scheint nach einer zugesetzten Öffnung ehemals eine Türe ins Freie gewesen zu sein.
Das Gelände um die Kirche von Roßtal stieg durch die vielen Begräbnisse im Laufe der Jahrhunderte ziemlich beträchtlich, sodaß die Krypta heute ziemlich tief im Erdreich steckt. Dies gab vielleicht mit die Veranlassung zur Sage, daß die Kirche infolge Entweihung in die Erde versank, sodaß später eine andere – die heutige – darüber erbaut wurde. Die Entweihung geschah durch die Benutzung der Kirche als Pferdestall. Daher soll auch der Name des Ortes als „Roßstall“ kommen. Jedoch gibt die älteste Schreibweise Horsadal = Tal der Rosse, die Auskunft über den eigentlichen Namen. Der Siegelstock des Roßtaler Gerichts (aus dem 14. Jahrhundert; ältester Abdruck aber an einer Urkunde von 1501) zeigt eine Kirche, aus der ein Pferd herauskommt.
Die 12 Pfeiler der Krypta sollen an die 12 Apostel erinnern, ein Gedanke, der dem Mittelalter mit seiner Mystik und Symbolik durchaus nahe lag. Prüft man an Hand eines genauen Grundrißplanes der Krypta nach, ob etwa darin das alte Bauhüttengeheimnis steckt, so findet man tatsächlich eine Figur, aus der sich alle Maße, auch die des Aufrisses leicht ergeben. Die Grundfigur ist denn auch ein regelmäßiger aus 4 gleichseitigen Dreiecken gebildeter Zwölfstern, dem ein Achtort einbeschrieben ist, das aus zwei Quadraten besteht. Diese Grundfigur soll der Krypta zu Ehren in Zukunft „der Roßtaler Bauschlüssel“ genannt werden. Nur nebenbei sei bemerkt, dass die Rundkapelle von Altenfurt bei Nürnberg – um nur ein Beispiel zu nennen – ebenfalls aus dem Roßtaler Bauschlüssel entwickelt ist.
Für die Berechnung ergibt sich bei Roßtal eine zu Grunde liegende Schuhgröße, die um 34 cm herum springt, und auch durch dieses große Schuhmaß auf ein hohes Alter hinweist. Eine umfassende Erklärung dieser ganz neuartigen Erkenntnisse kann schon aus Platzgründen hier nicht gegeben werden.
Schon viele haben sich um eine Deutung und Datierung der Krypta bemüht. Die Meinungen gehen vielfach auseinander. In die allgemeine Kunstgeschichte ist dieser Raum noch nicht eingeführt. Das Handbuch der Kunstdenkmäler Deutschlands (herausgegeben von G. Dehio) nennt Roßtal überhaupt nicht. Ein amtliches Gutachten bezeichnet die Krypta als spätmittelalterliche Karneranlage, also ein Beinhaus der Zeit zwischen rund 1300 und 1500. Diese Meinung kann am allerehesten abgelehnt und gründlich wiederlegt werden. Die Karneranlagen, insbesondere gar die spätmittelalterlichen sind in Franken u. a. in der Oberpfalz fast durchaus kleine, zweigeschossige Bauten: im Untergeschoß das Beinhaus, darüber die Seelkapelle. Diese Bauten – ich nenne nur die heute noch stehenden Karnerkapellen in Iphofen, Ochsenfurt, Herzogenaurach, Neustadt a. d. Aisch, Gerolzhofen, Haßfurt und Greding – stehen aber alle neben der Hauptkirche. Ihre Kapellen sind meist dem hl. Michael, dem „Seelenwäger“ geweiht. In Roßtal stand noch eine Jakobskapelle neben der Pfarrkirche, die möglicherweise einen Beinkeller unter sich hatte. Sie soll an der Stelle des heutigen Bahrhauses gestanden haben. Keiner der genannten Karner hat irgend eine Ähnlichkeit mit der Krypta. Das Gutachten spricht von einer Beinhauskrypta, wie sie sich unter dem Presbyterium der kath. Pfarrkirche Peiting bei Schongau und in zahlreichen tirolischen Kirchen in gleicher Anordnung findet. Die Krypta von Peiting ist aber ganz anders, viel weiträumiger, aber auch kleiner als die von Roßtal. Es gibt zwar in Franken auch Karnergewölbe unter Landkirchen, z. B. in Altenschönbach bei Gerolzhofen, in Taschendorf bei Burghaslach (noch belegt!) und in einigen Kirchen des Regnitztales, jedoch sind diese Gewölbe nur klein. Jedenfalls fehlt allen diesen Beinkellern das Hoheitsvolle, das trotz aller Einfachheit und Enge in der Roßtaler Krypta liegt. Es kann sich also nur um eine wirkliche Krypta handeln, die zu gottesdienstlichen Zwecken verwendet wurde und die vielleicht das Grab eines oder einer Heiligen barg. Gegen eine Beinhausanlage sprechen auch die Nachrichten von Bruschius2 und Pastorius, die von zwei Kirchen übereinander reden. Bruschius schreibt (übersetzt): unter der Kirche in unterirdischen Erdschlünden ist ein anderes Heiligtum, ganz alt und geräumig (fanum pervetustum!)… Wenn Bruschius im Jahre 1533 davon spricht, daß dieses Heiligtum ganz alt ist, dann kann die Krypta auch nicht spätmittelalterlich sein, sondern muß in frühere Zeit zurückgehen. Gegen eine spätmittelalterliche Anlage spricht auch die Ein- und Übermauerung der Krypta durch den romanischen Bau. Es erscheint doch unglaublich, daß in der Gotik – um diese allein kann es sich als spätmittelalterlichen Stil handeln – die Krypta erst in die bereits bestehenden Mauerteile der romanischen Kirche eingefügt worden ist. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, dann wäre eine andere Mauertechnik – und zwar in großen Quadern wie an der Nordwand – angewandt worden. Dann widerspricht auch die Folge der drei Abseiten an der Ostwand.
Gegenüber dieser sicher falschen Datierung glaubt man nun durch Analogie mit ähnlichen irischen Anlagen die Krypta von Roßtal in das 7. Jahrhundert verlegen zu können. Das ist also ein Unterschied von über einem halben Jahrtausend. Sicher ist jedenfalls, daß die Krypta der älteste Bau der Kirche ist. Für eine genauere Bestimmung kommt nur der Vergleich mit anderen Krypten in Frage. Aus der großen Zahl solcher bekannten Anlagen, die aber fast nur bei ganz großen Kirchen zu finden sind, hat allein die von Unterregenbach an der Jagst im württembergischen Franken in der Nähe von Langenburg auffallende Ähnlichkeit bes. in der Pfeilerbildung mit der von Roßtal. Sie wird von Prof. Gradmann3 etwa in die Mitte des 10. Jahrhunderts verlegt. In dem ausgezeichneten Buch: Kunstwanderungen in Württemberg und Hohenzollern (Stuttgart 1996; 2. Aufl.!) von Dr. Gradmann unter Mitarbeit des besten Kenners württembergischer romanischer Kunst, Landeskonservator Dr. Hans Christ4, werden die Pfeiler und die Wölbung etwa so beschrieben: „3schiffige Halle mit Tonnen in der Länge und Stichkappen in der Quere. Die Raumverhältnisse gedrückt, die Pfeiler samt Sockel und Knauf keine 2 Meter hoch. Aus den Seitenschiffen des oberen Hinterraumes vom Langhaus führten der Länge nach zwei gerade Treppen hinab. Die Säulchen mit oben ausgekehltem Sockel, niederem Knauf in korinthisch-ionischer Komposita-Ordnung und Form eines umgedrehten Pyramidenstumpfes sind vorromanisch… Die Knäufe – gleichfalls Pyramidenstümpfe, die Pfeiler, deren Sockel oder Kämpferaufsätze schwer zu unterscheiden sind…“ – Mit Ausnahme der 3schiffigen Form der Krypta und des ornamentalen Blattschmuckes trifft all das Gesagte auch auf Roßtal zu. Eine genauere Datierung der Unterregenbacher Krypta ist in den „Kunstwanderungen“ nicht gegeben als die: „Das Merkwürdigste ist die Früh- oder vorromanische Krypta … der alten (Veits-) Zellkirche… Wann diese Veits-Zelle abging ist sagenhaft (Ungarn)“. Es genügt uns in diesem Bericht: vorromanisch und die Nennung der Ungarn. Im Jahre 955 sollen die Ungarn doch auch Roßtal zerstört haben! Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Sage von der Entweihung der Krypta auch auf jene Zeit zurückdatiert werden kann. Da in den vielen Sagen ein geschichtlicher Kern steckt, wäre damit auch ein gewisser Anhaltspunkt für das hohe Alter der Roßtal Krypta gegeben. Wir wollen jedoch vorsichtig sein und sie in Gleichsetzung mit der Unterregenbacher als „vorromanisch“ bezeichnen. Herr Prof. Dr. Karlinger (früher in München, jetzt in Aachen), einer der besten Kenner deutscher Kunst, bestätigte mir im vergangenen Jahr (Pfingsten 1931) an Hand der von mir vorgelegten Aufnahmen ebenfalls das hohe Alter der Roßtaler Krypta. Eine Datierung jedoch läßt sich nach seinem Urteil ohne eigene Kenntnis der Raumverhältnisse nicht oder nur sehr schwer geben.
Genug: Es ist schließlich hier gleichgiltig, ob sie ins 10. Jahrhundert oder, was vielleicht auch5 wahrscheinlich noch früher gesetzt werden muß: sie ist das älteste, ganz erhaltene Bauwerk, das Mittelfranken besitzt, ja noch weiter, das älteste Bauwerk im bayerischen Franken, dies umsomehr, nachdem die Stimmen sich mehren, nach denen die bislang als ältestes Baudenkmal Frankens angesehene Rundkapelle auf der Marienfeste von Würzburg erst in die Zeit um 1200 gesetzt werden muß. Sie galt bisher als Frühwerk des 8. Jahrhunderts.
Das „Rätsel“ von Roßtal ist mit diesen Zeilen keinesfalls gelöst. Sie sollen aber dazu beigetragen, dem ehrwürdigsten Bau Frankens die lang versagte, aber umso mehr verdiente Beachtung und Achtung zu schenken. Möge es, hoffentlich recht bald, gelingen durch die längst beabsichtigten Grabungen das Geheimnis der Roßtaler Krypta und der zu ihr gehörigen ältesten Kirche zu lüften!
1 | Die Daten zumeist dem „Heimatbuch von Roßtal“ entnommen, das Adolf Rohn 1928 herausgegen hat. |
2 | Chronologia Monast. Germaniae … Sulzbach 1682 |
3 | Das Rätsel von Unterregenbach in Württ. Vierteljahreshefte f. Landesgesch. XXV: 1916. Auf Unterregenbach machte mich Herr Forstassessor A. Ortegel, Nürnberg, aufmerksam, der sich schon viele Verdienste um die Erforschung der Roßtaler Geschichte erworben hat. |
4 | In dessen Buch: Romanische Kirchen in Schwaben und Neckar-Franken (Stuttgart 1925) auch treffliche Aufnahmen dieser Krypta. |
5 | Leider hat man in jüngster Zeit, wenn auch in wohlmeinender Absicht, die Krypta verputzt. Dieser Raum ist aber so ehrwürdig, daß nur eine ganz vorsichtige und wohlüberlegte Restauration angebracht ist. Er müßte so strenge unter Denkmalschutz gestellt werden, daß jeder Eingriff, insbes. jeder bauliche, strengstens vermieden wird. |
vom 11. Juni 1932