Alfred Steinheimer

Vom Heiligenpfleger zur Kirchenvorstand –
150 Jahre Kirchenvorstand in Roßtal

Nach dem Vorbild im Alten Testament entstand bereits anfangs des 4. Jahrhunderts der Brauch, zuerst auf freiwilliger Basis, den zehnten Teil eines Ertrages oder eines Einkommens der Kirche zuzuführen. In der Zeit der Karolinger, im 7./8. Jahrhundert, wurde diese Abgabe, „Zehnt“ genannt, den Gläubigen als Pflicht auferlegt.

Aus der Abgrenzung des Gebietes derer, die den Zehnt schuldeten, entstanden die Pfarrsprengel. Die eingehenden Erträge an Naturalien, später zum Teil auch an Geld, dienten ursprünglich nur dem Unterhalt der Geistlichen und aller kirchlichen Einrichtungen einer Pfarrei.

Verwalter des Zehnts war über eine lange Zeit allein der Pfarrinhaber. Seit dem späteren Mittelalter geschah die Verwaltung der Einkünfte jedoch unter Beiziehung von Gemeindemitgliedern, deren kirchenrechtliche Stellung der eines Vormunds entsprach1.

Das vor dem Zugriff weltlicher Herrscher durch die Androhung von Kirchenstrafen geschützte Gut einer Kirchenstiftung, das „Heilige“ genannt, war damit unantastbar: Die Verwalter dieses Besitzes erhielten im Mittelalter die Bezeichnung „Heiligenpfleger“. Diese Amtsträger erhielten, in Anerkennung ihres Ehrenamtes, das Vorrecht, in der Kirche im Chor, in der Nähe des Altars, einen Platz einnehmen zu dürfen.

Ein Blick in die ältesten noch erhaltenen Kirchenrechnungen der Pfarrei St. Laurentius Roßtal aus dem Jahre 1519 zeigt die sorgfältige Auflistung aller Einnahmen und Ausgaben der Pfarrei, die allerdings der schreibgewandtere Pfarrer vornahm und zeigt auch, in welcher Weise die Überprüfung der Rechnungslegung stattfand.

(Hier wäre einzuflechten, dass bei Kirchen, die einem Patronatsrecht unterstanden, der Patron ein Aufsichtsrecht über die „Heiligenverwaltung“ besaß. In Roßtal nahm dieses Recht, als Vertreter des Markgrafen, zwar nicht regelmäßig, wie die Aufzeichnungen zeigen, der hier ansässige Richter oder ein Beamter des Oberamtes Cadolzburg wahr. Dass es auch Fälle obrigkeitlicher Ein- und Übergriffe gab, zeigt 1526 ein Vorgang in Weitersdorf2. Hier wollte der markgräfliche Richter in Roßtal den Weitersdorfer Kirchenpfleger, der, wie fast alle Weitersdorfer damals, ein Nürnberger Untertan war, zwingen, die Klingelsackeinlage des Kirchweihgottesdienstes beim Richteramt abzurechnen, was ihm von dem selbstbewußten Kirchenpfleger verweigert wurde.

Selbst ein Pfarrer beklagte sich um 1750 über einen Richter, dass er die Heiligenpfleger unter seinem absoluten Kommando stelle. Er, als Pfarrer, darf nur die Zettel unterschreiben, die zu bezahlen sind3 und er wisse vorher gar nicht den Grund der Ausgabe.)

Der Eintrag im Roßtaler Rechnungsbuch4 des Rechnungsjahres 1519 lautet:

„Nach Christi unseres lieben Herrn Geburt zu fünfzehnhundert und zwanzig Jahr auf Sonntag Jubilate haben Hans Lederer zur Weitersdorf, Steffen Brunner und Conz Burkhard zu Roßstall als Gotteshauspfleger von Sankt Lorenz Pfarrkirch hier, vor Conrad Wenger, Pfarrer, Hans Jäger, Wildmeister und Amtsverweser zu Cadolzburg, auch eines ganzen Pfarrvolks, ab offener Kanzel dazu beruft, eine redliche Rechnung getan und alles, so sie das letztvergangene Jahr vom letzten Ostertag des 19. Jahres bis auf bestimmten Sonntag Jubilate im 20. eingenommen und ausgegeben, haben sie vollkommlichst alles dargelegt.“

Die Feststellung endet: „Und sein wiederum zu Heiligenpfleger erwählt Hans Lederer, Steffen Brunner, Conz Burkhard, Hans Elble zu Stöckach an Ulrich Haasen Stell, ist tot.“

Wie diese Schlussbemerkung zeigt, nahm offenbar das „ganze Pfarrvolk“, so in der Kirche anwesend, die „Erwählung der Heiligenpfleger“ durch Zuruf vor, was in späteren Jahrhunderten, wie aus Aufzeichnungen zu ersehen ist, offenbar nicht mehr der Fall war. Aktenkundig5 sind zwei Fälle, die dies bezeugen, aber auch die Abhängigkeit der Dorfbewohner von ihren Grundherren.

Beide Vorkommnisse haben sich in Buchschwabach zugetragen, das als Dorf dazumal in der Mehrheit auf zwei Grundherrschaften aufgeteilt war. Die Lehen besaßen die Familie Oelhafen von Schöllenbach und die Ansbacher Familie Forster.

Im Jahre 1699 schlug der Roßtaler Pfarrer Ernst Georg Schülin für die Filialkirche zwei Buchschwabacher Bürger als Heiligenpfleger vor, wobei der eine ein Untertan des Heinrich Maximilian Oelhafen, der andere, ebenfalls ein Bauer, dem Hofrat Jakob Wilhelm Forster zinspflichtig war.

Am 4. Mai 1701 beklagte sich, zwar höflich, aber in einem sehr bestimmten Ton, der erstgenannte Lehensinhaber in einem Brief an den Roßtaler Pfarrer und protestierte dagegen, dass ohne seine Einwilligung die „Erwählung“ seines „Hintersassen“ zum Heiligenpfleger geschehen solle.

Oelhafen verwies in seinem Schreiben auf die Gemeindeordnung von 1572 „in welcher klar zu erkennen und zu erweisen, dass diese Personen schon damals von gnädiger Grundherrschaft und den Herren Pfarrherren zu Roßstall verpflichtet worden.“

Dass, in vielen Jahren vorher, die Pfarrherren allein oder auch Beamte von Cadolzburg Heiligenpfleger verpflichtet haben, sei nach seiner Ansicht „… nur den schwedischen Kriegsverdrießen (30-jähriger Krieg) zuzuschreiben, wo der Ort öd gestanden und die Herrschaft in Abwesenheit derselben.“

Den strittigen Fall musste schließlich am 18. Mai 1701 das Oberamt Cadolzburg entscheiden.

Dem Grundherrn Oelhafen, der eine Schmälerung seiner Lehensrechte befürchtete, wurde mitgeteilt, dass seit dem 2. August 1659 diese alte Bestimmung nicht mehr galt. Die beiden Buchschwabacher konnten nun „die Hochfürstlich Brandenburgische Pflicht über die Gotteshaus-Pflege zu Buchschwabach ablegen (übernehmen).“

Auch das Recht, die Kirchenrechnungen der Filiale Buchschwabach „abzuhören“, wie schon genannt, ein Recht des Patronatsherren, versuchte im Jahre 1721 ein Grundherr an sich zu ziehen. Auch er wurde durch das Cadolzburger Oberamt energisch mit der Begründung zurechtgewiesen, dass das Kirchlein markgräflich und nicht Teil seines Lehens sein. Einige Jahrzehnte später, es regierte zwischenzeitlich der preußische König die ehemalige Markgrafschaft Ansbach, musste die „Heiligen-Inspektion Langenzenn und Cadolzburg“ sich wiederum mit einem besonderen Fall bezüglich der Verwaltung der Filialkirche in Buchschwabach beschäftigen.

Zwei Buchschwabacher Bürger, die zur Verwaltung des Stiftungsgutes der Filialkirch „bestellt“ wurden, glaubten, mit der Übernahme des Amtes überfordert zu sein und lehnten die Verpflichtung ab.

Der Fall wurde der genannten Inspektion vorgetragen.

Mit einem Schreiben vom 5. Dezember 1798 des königlich-preußischen Justizamtes in Cadolzburg, dem diese Inspektion unterstand, wurde den vorgebrachten Gründen der beiden Buchschwabacher recht bestimmt widersprochen.

Es sei zu diesem Amt: „… kein großer Rechnungssachverständiger erforderlich, nur Obrigkeitsverrichtungen eines Hauswirts, da das Geschäft der Rechnungsführung selbst ohnedies dem königlichen Pfarramt obliegt.“

Das Schreiben enthält harte Zurechtweisungen, die die beiden Buchschwabacher sicher nicht verdienten, wie diese: ... „Es ist schon ansich unlöblich Fähigkeiten, die man wirklich besitzt, in Abrede zu stellen. Auch weit tadelswürdiger aber ist die Vorspiegelung einer dergleichen Unfähigkeit, wie sie aus Trägheit oder einer gewissen Gleichgültigkeit gegen wohlfährtige Anstalten im Staate entspringt oder wohl gar Eigennutz und die unwürdige Besorgnis zur Quelle hat, dass ein dergleichen Ehrenamt nicht einträglich genug sein möchte“. Das Justizamt traf folgende Entscheidung:

Die Heiligenpfleger werden am 12. Dezember 1798 ins Justizamt, unter Strafandrohung bei etwaigem Nichterscheinen, einbestellt und dort auf ihr Amt verpflichtet. Wenige Jahre später, im Jahre 1805/06, wurde im Frieden von Schönbrunn auf Geheiß Napoleons das fränkische Fürstentum Ansbach, 1810 folgte auch Bayreuth, von der preußischen Herrschaft abgetrennt und Bayern zugeschlagen.

Ob sich damit wesentliche Änderungen hinsichtlich der Bestellung der Heiligenpfleger ergaben, ist aus den Unterlagen des Archivs nicht ersichtlich. Eine Neuerung beschloss rund fünfundvierzig Jahre später das königliche Consistorium in München am 7. Oktober 1850 mit der Einführung von Kirchenvorständen in den protestantischen Kirchengemeinden Bayerns. Der Gedanke, einem gewählten Gremium die Mitverantwortung über eine Kirchenstiftung zu übertragen, war sicher in den politisch unruhigen Jahren, die um 1800 begannen, entstanden.

In dieser Periode politischer Veränderungen, die um 1848/49 ihren Höhepunkt hatten, forderten die Bürger der deutschen Bundesstaaten, teilweise mit Waffengewalt, als Grundrechte in die deutschen Landesverfassungen und in eine Bundesverfassung, die in der französischen Revolution von 1789 formulierten Menschenrechte aufzunehmen. Im Königreich Bayern waren es besonders die Bürgervertretungen in den fränkischen Städten, die ihre Vorstellungen von Demokratie durch Änderungen der Verfassung verwirklicht sehen wollten, auch die Bauern rührten sich vielerorts in Franken, um von den Feudallasten ihrer Grundherrschaften befreit zu werden.

(Selbst in der Marktgemeinde Roßtal zeigte sich revolutionärer Geist. Die Vertretung der Bürgerschaft protestierte mit einem Beschwerdebrief an die königliche Regierung gegen eine Reihe willkürlich erscheinender amtlicher Anordnungen, die unter den Bauern Unruhe ausgelöst hatten. Die Reaktion der bayerischen Regierung auf dieses Schreiben hin erfolgte umgehend. Um weitergreifende aufrührerische Gedanken zu unterdrücken, wurde unser Ort über Wochen mit einer Abteilung Soldaten belegt.)

In das Ausklingen dieser, von umwälzenden Änderungen erfüllten Zeit, die auch den Bauern die Befreiung aus ihrer lehenherrlichen Abhängigkeit brachte, erließ das Consistorium die genannte Verordnung, die den Kirchengemeinden ein beachtliches Maß an Mitsprache und ein Mitwirkungsrecht in „Beziehung auf Gegenstände des öffentlichen örtlichen Gottesdienstes, auf Verrichtung liturgischer Handlungen und auf Erteilung des Religionsunterricht usw.“ geben sollte.

Sind, wie schon aufgezeigt, seit dem späten Mittelalter die Pfleger der Kirchenstiftungen, die „Heiligenpfleger“, mit Zustimmung des Kirchenvolkes öffentlich als Vertreter der Gemeinde bestätigt, oder später von Amtswegen bestellt worden, so sollte dieses Amt, nun wesentlich erweitert, von gewählten Personen übernommen werden.

In 22 Paragraphen waren die Aufgaben, Pflichten und Rechte der Vorstände zusammengestellt und die Kirchenoberen des Consistoriums in München waren wohl der Ansicht, dass dieser mutige demokratische Schritt einer Wahl vom Kirchenvolk freudig begrüßt werden würde.

Freilich, die Zulassung zur Wahl war noch von einer Reihe von Kriterien abhängig gemacht worden, die so oder ähnlich auch für die politischen Wahlen im Königreich Bayern, wie auch in anderen Bundesstaaten, damals galten:

So waren wahlberechtigt nur alle männlichen Mitglieder einer Kirchengemeinde „die das 21. Lebensjahr zurückgelegt, unbescholten und einen eigenen Familienstand“ hatten und die außerdem nicht als „amtliche Arme“ registriert sein durften oder Unterstützung aus einer öffentlichen Armenkasse erhielten.

Gewählt werden konnten ebenfalls nur männliche Mitglieder der Kirchengemeinde, die das 25. Lebensjahr „zurückgelegt haben“.

Da die Verordnung zügig durchgeführt werden sollte, verständigte am 26. November 1850 der für Roßtal in Zirndorf amtierende Dekan die Pfarrei und setzte den Pfarrer Johann Ulrich Huhne (1846–1861) davon in Kenntnis.

Der Begriff „Kirchengemeinde“ der genannten Verordnung wurde so ausgelegt, dass an jedem Ort mit einer Kirche nun ein selbständiger Kirchenvorstand, von der Mutterkirche unabhängig, gewählt werden müsse.

Für den Kirchenvorstand in Roßtal sollten neun Mitglieder gewählt werden und für Buchschwabach, Buttendorf und Weitersdorf jeweils vier. Dazu kam noch die gleiche Anzahl von „Ersatzmännern“.

Als Wahltag sah eine Consistorialverfügung den zweiten Weihnachtsfeiertag, also den 26. Dezember 1850 für die Filiale Buchschwabach vor, für Roßtal den 27. Dezember, für Buttendorf „den Donnerstag nach dem heiligen Christtag“, für die „Filial Weitersdorf“ blieb die Wahl vorerst ausgesetzt.

Der Wahlbeginn war jedoch alles andere als ermutigend.

Pfarrer Huhne und der für Roßtal amtlich bestellte Stiftungspfleger Nüchterlein trafen in Buchschwabach auf eine Versammlung von 19 Gemeindemitgliedern, denen einleitend die Aufgaben und Pflichten eines Kirchenvorstandes, sowie der Wahlvorgang selbst erklärt werden sollte.

Es kam jedoch zu keiner Wahl, da alle Anwesenden sich einstimmig äußerten: „… dass sie sich nicht dazu entschließen könnten und auch kein Bedürfnis (dazu) fühlten“. Im Protokoll ist weiter vermerkt: „… ihre geistlichen Bedürfnisse werden durch die beiden Geistlichen (2. Pfarrer war Georg Veit Schaitberger, 1850–1863) zur vollkommsten Zufriedenheit befriedigt, auch für die Armen und Notleidenden sei gesorgt, die übrigen Befugnisse der Kirchenvorstände halten wir für entbehrlich“.

In der Mutterpfarrei Roßtal gab es offenbar keine Schwierigkeiten, in Buttendorf dagegen wurde die Neuerung nicht ohne Vorbehalt hingenommen.

Es wurde zwar gewählt, aber gleichzeitig mit der Wahlliste eine unfängliche Protestnote, von 16 Gemeindemitgliedern unterschrieben, vorgelegt.

Die Note befasste sich mit einem Passus, festgelegt im § 5 der genannten Verordnung, der bestimmte, dass das Wahlstimmrecht nur in einer Kirchengemeinde ausgeübt werden konnte. Dies hatte zur Folge, dass die Buttendorfer, Buchschwabacher und Weitersdorfer Wahlberechtigten von der Wahl des Kirchenvorstandes in Roßtal ausgeschlossen waren. Die Buttendorfer Bürger stellten in ihrem Protestschreiben dar, dass eine selbständige Kirchengemeinde in ihrem Ort ebenso wenig existiere wie in Weitersdorf und führten in sechs Punkten an, dass regelmäßiger Gottesdienstbesuch, wie Abendmahlsempfang, Taufe und Schule nur am Ort der Mutterkirche möglich sei und sie außerdem dort auch den Zins für die Kirchenstühle entrichten. Des Weiteren würden die Buttendorfer auch einen Anteil bei außergewöhnlichen Ausgaben der Mutterkirche tragen und somit: „… müssen wir – wie sie schrieben – gegen den Ausschluss von gedachter Wahl bei der Mutterkirche als eine Verkürzung unserer Rechte protestieren“.

Sie forderten, dass „entweder ein Gemeindemitglied in die Vertretung der Mutterkirche zugezogen werde, oder die Wahl aufzuheben sei“.

Pfarrer Huhne versah die Protestnote an das Dekanat in Zirndorf mit einem Begleitschreiben und schloss sich dieser Meinung an: „Da Weitersdorf, Buttendorf und Buchschwabach von der Roßtaler Wahl ausgeschlossen waren, so erscheint diese Wahl als einseitig“. Die Akten lassen nicht erkennen, warum dann mehr als ein halbes Jahr verstreichen sollte, bevor wieder ein Anstoß in dieser Angelegenheit geschah.

Diesmal war es die Ortsgemeinde Weitersdorf, die am 18. Juli 1851 vorstellig wurde. Es waren im Grunde die gleichen Gründe, die auch die Buttendorfer in ihrer Protestnote anführten, wobei sie bekräftigten, dass bei jährlich nur drei Predigtgottesdiensten von einer eigenen Kirchengemeinde Weitersdorf überhaupt nicht die Rede sein kann und sie deshalb selbstverständlich zur Kirchengemeinde Roßtal zählen.

Um das Maß voll zu machen, forderten vier Wochen später die Buchschwabacher Gemeindemitglieder nochmals die Aufhebung der Wahl in Roßtal.

Welche Aufklärungsarbeit die beiden Roßtaler Geistlichen zu erledigen hatten, lässt sich nur erahnen, aber schließlich kam es doch zu einer Einigung im Sinne der Außenorte, wenn auch darüber fast drei(!) Jahre verstrichen.

Im August 1853 fanden schließlich in den Filialorten Wahlen statt, und am Ende des genannten Monats konnte dem Dekan in Zirndorf mitgeteilt werden, dass in Roßtal nun ein Kirchenvorstand bestehe, der auch die Bedürfnisse der Filialorte berücksichtige. Zu den neun für Roßtal bereits gewählten Mitgliedern kamen nun je ein Mitglied aus den Filialgemeinden Buchschwabach, Buttendorf und Weitersdorf, die gemeinsam am Neujahrstag 1854 „nach der Amtspredigt der Gemeinde vorgestellt und verpflichtet wurden“. Wie Pfarrer Huhne dem Dekan nach Zirndorf berichten konnte, gehörten dem ersten gewählten Kirchenvorstand in der Geschichte der Pfarrei St. Laurentius an:

Matthäus Ecksten, Maurermeister zu Roßstall,
Christoph Nüchterlein, Schreinermeister, dortselbst,
Jakob Weiß, Webermeister, dortselbst,
Friedrich Kern, Spezereihändler, dortselbst,
Leonhard Steigmann, Gemeindevorsteher, dortselbst,
Michael Heinlein, Oekonom, dortselbst,
Leonhard Gastner, Gutsbesitzer von Trettendorf,
Andreas Grüber, Webermeister in Roßstall,
Johann Wipplinger, Webermeister, dortselbst,
Johann Bloß, Gutsbesitzer in Buchschwabach,
Cajetan Matter, Gutsbesitzer in Buttendorf,
Johann Georg Schmidt, Gutsbesitzer in Weitersdorf.

Die Liste zeigt nur „Selbständige“ oder „Besitzende“, die gewählt wurden, und es kann als ziemlich sicher angenommen werden, dass die Wahlliste keine anderen Vorschläge enthielt. Das Denken in Klassenunterschieden war, trotz der in den unruhigen Jahren um 1848 eingeforderten und auch zum Teil erreichten Rechte für alle Bürger, besonders auf dem Lande in vielen Lebensbereichen noch lange Zeit ausgeprägt.

Nach der genannten Verordnung bestand außerdem ein eigenartiger Modus für die Wahlperiode.

Wahlen sollten alle drei Jahre stattfinden, obwohl die Mitglieder auf sechs Jahre gewählt waren. Nach drei Jahren wurde dann durch Los ermittelt, es betraf die Hälfte der Gewählten, die das Gremium verlassen mussten, um durch einen Neugewählten ersetzt zu werden. So fand bereits im Jahre 1857 wieder die Wahl eines neuen Kirchenvorstandes statt, was nun ohne Einsprüche und Protestnoten geschah.

Mit dem Ende des 1. Weltkrieges und der Schaffung einer neuen Verfassung im Deutschen Reich, erhielten im Jahre 1919 die Frauen das allgemeine Wahlrecht. Eine Änderung dieser, bis zu diesem Zeitpunkt auch für die Wahl kirchlicher Ämter geltenden Einschränkung, wurde durch die Kirchenvorstandsverordnung vom 22. Februar 1920 erreicht. Nach § 5 dieser neuen Verordnung waren nun alle Mitglieder der Kirchengemeinde, also auch Frauen, wahlstimmberechtigt und wählbar.

Es ist dem Verfasser dieser Abhandlung nicht bekannt, wann und in welchem Umfang dieses Recht von den Frauen in anderen Landpfarreien oder in den Städten in Anspruch genommen wurde.

Nach den hier in der Pfarrei St. Laurentius Roßtal noch einzusehenden Unterlagen vergingen jedenfalls 44 Jahre, bis sich im Oktober 1964 erstmals Frauen der Wahl zum Kirchenvorstand stellten.


1Herder-Konversationslexikon, Freiburg i. Br., 1905
2Helmut Mahr: Festschrift 750 Jahre Weitersdorf, 1985
3 Archiv St. Laurentius, Roßtal, Akte Nr. 9
4 Archiv St. Laurentius, Roßtal, Akte Nr. 263
5 Archiv St. Laurentius, Roßtal, Akte Nr. 323

Quelle: Alfred Steinheimer, St.-Laurentius-Kirche zu Roßtal, Roßtal 2001, S. 82 ff.