ROSSTAL – Robby hat ein bewegtes Jahr hinter sich. Da lagen die Reste des Delinquenten, der 1988 auf dem Galgenbuck ausgegraben wurde, jahrelang unbehelligt im Kellergewölbe des Heimatmuseums unter Glas. Doch zum 1050. Jubiläumsjahr warb Roßtal mit seiner Vergangenheit. Auch Robby, den der Volksmund nach seinem Entdecker Robert Leyh so taufte, wurde heuer erneut einer genaueren Betrachtung unterzogen. Dass er kein Mann, sondern eine Frau war, drang bereits im Sommer nach der anthropologischen Untersuchung der Knochen an die Öffentlichkeit.
Jetzt wissen die Forscher auch, in welchem Zeitraum die Dame einst lebte. Und das führt auf die Spur eines Kriminalfalls der Roßtaler Historie. Robby erlebt ein Revival als Kindsmörderin. Für Roßtals Bürgermeister Maximilian Gaul eine Sensation. Nicht nur, dass das Skelett ohnehin Seltenheitswert habe, jede nähere Information erhelle ein Stück mehr an kulturgeschichtlichen Hintergründen der Vergangenheit, meint er. Im speziellen Fall belegt es die 1000-jährige Tradition der Halsgerichtsbarkeit in Roßtal, während der im Ort hohes Recht gesprochen werden durfte, also dem ansässigen Richter erlaubt war, über Leben und Tod zu entscheiden.
Ein Finger der linken Hand des Skeletts gab Aufschluss: Er wurde im physikalischen Institut der Universität Erlangen auf seinen C14-Gehalt untersucht. Anhand des radioaktiven Kohlenstoff-Isotops, das jeder lebende Organismus Zeit seines Lebens aufnimmt, können die Kernphysiker zurückverfolgen, wann der Organismus sein Leben aushauchte. Mit dem Tod beginnt der Zerfall von C14. Das Roßtaler Skelett dürfte demzufolge zwischen 1668 und 1781 an Roßtals einstiger Richterstätte verscharrt worden sein.
Eine relativ lange Zeitspanne, wie der Roßtaler Archäologe Thomas Liebert einräumt. Doch im fraglichen Zeitraum sind bis dato lediglich drei Hinrichtungen im Gebiet der Roßtaler Halsgerichtsbarkeit bekannt. Und die Beweise, dass die Roßtaler Gebeine einem Menschen gehörten, der keines natürlichen Todes starb, sind überzeugend: Den Schädel fand man abgetrennt zwischen den Fußknochen gelagert, die Dame wurde geköpft.
Auch die rechte Hand, die Schwurhand, war der Frau dereinst abgeschlagen worden, was darauf schließen lässt, dass man ihr einen Meineid vorwarf. Zweifelsfrei aber wurde sie eines Kapitalverbrechens bezichtigt, sonst hätte sie nicht ein derart unrühmliches Ende genommen. Und Mord und Totschlag haben heute wie damals Seltenheitswert in Roßtal.
Zwei der Hinrichtungen im von den Erlanger Wissenschaftlern eingegrenzten Zeitfenster trafen Männer, die dritte eine Frau. Eine Kindsmörderin soll sie gewesen sein und anno 1710 ihren Kopf verloren haben. Nur ist die Quelle dieser Information, die schon vor Jahren in den Heimatblättern Roßtals veröffentlicht wurde, nicht belegt. Doch Thomas Liebert will's jetzt wissen. Er hat schon begonnen, im Staatsarchiv Nürnbergs alte Gerichtsakten und Rechnungen zu durchstöbern, damit er „Fleisch an die Sache kriegt“, wie er sagt. Er will das Schicksal der Frau mit Fakten beleben.
Dem aktuellen Stand der Forschung zufolge liest sich der Steckbrief der vermeintlichen Mörderin so: 1,51 Meter groß, zierlich gebaut, und zwischen 35 und 45 Jahre alt zum Zeitpunkt ihres Ablebens. Eine Roßtalerin muss sie nicht zwingend gewesen sein. Der Richteramtsbezirk erstreckte sich auf 34 Ortschaften und war in etwa identisch mit dem heutigen evangelischen Kirchsprengel.
Die Frau lebte in einer Zeit, da Roßtal seine frühmittelalterliche Blüte als karolingisch-ottonische Reichsburg längst hinter sich gelassen hatte. „Ein Kaff mit einer riesigen Kirche“, sagt Gaul, „war Roßtal damals.“ Der Landstrich litt an den Folgen des Dreißigjährigen Krieges. Die Menschen mussten sich mit Wolfsrudeln herumschlagen, wenn sie sich zum Kirchgang nach Roßtal aufmachten. Und die Bevölkerung war zusammengeschmolzen. Anno 1821 gab es in Roßtal gerade 101 Wahlberechtigte.
„Was der Frau damals angelastet wurde“, erläutert Liebert, „muss nach heutigem Verständnis gar kein Verbrechen gewesen sein.“ Vielleicht hat die Frau ein uneheliches Kind geboren, wer weiß? „Das hat damals schon gereicht, um außen vor zu stehen“, sinniert Gaul über ein „möglicherweise äußerst tragisches Schicksal“. Doch im Augenblick können die Heimatforscher Roßtals nur spekulieren. Im Optimalfall gräbt Liebert im Staatsarchiv ein Verhörprotokoll aus. In ihnen ist minutiös auf gelistet, was die Befragungen der Delinquenten dereinst erbrachten. „Das aber wäre ein echter Glücksfall“, meint er.
Nach der Untersuchung eines Fingerknochens des Roßtaler Skeletts an der Universität Erlangen weiß der Archäologe Thomas Liebert (links), in welchem Zeitraum die Frau, zu der die Knochen einst gehörten, hingerichtet wurde. Archiv-Foto: Kögler |
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Quelle: Fürther Landkreisnachrichten vom 17.12.2004 S. 5