Gemeindediener Christoph Gegner 1920
Mit der Anlegung einer Sammlung heimat- und kulturgeschichtlicher Gegenstände und deren Darbietung für die Öffentlichkeit, eine der Aufgaben, die sich der Heimatverein gestellt hat, erwächst eine weitere, nämlich die, daß auch dem Sinn, der Bedeutung und dem früheren Gebrauch des zusammengetragenen Gutes nachgegangen wird, um das Wissen darüber der Nachwelt zu erhalten.
Da die Fülle des in dankenswerter Weise bis heute zur Verfügung gestellten Materials, dies sei besonders für das bäuerliche und handwerkliche Arbeitsgerät vermerkt, zu den Flächen unserer Ausstellungs- und Aufstellungsmöglichkeiten bislang noch in einem Mißverhältnis steht, ist eine didaktisch angelegte, übersichtliche und ausführliche Erläuterung des Ausstellungsgutes in den Räumen bzw. in den Vitrinen vorerst nur in bescheidenem Maße durchführbar. Es sollen deshalb in loser Folge besonders auffällige Exponate des Roßtaler Heimatmuseums in den „Heimatblättern“ beschrieben, quasi also in einer „Sonderausstellung“ vorgestellt und, soweit es uns möglich ist, erläutert werden.
Dankbar würden wir vermerken, wenn auch aus dem Leserkreis hierzu Hinweise und Anmerkungen ergingen, da, wie das nachstehend beschriebene, freundlicherweise von Herrn Bürgermeister Karl Schubert dem Heimatmuseum zur Ausstellung überlassene Stück schon zeigt, auch von Fachleuten nicht immer eine eindeutige herkunftsmäßige Bestimmung gegeben werden kann.
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Im zweiten Raum des Heimatmuseums sind in einer Vitrine neben der Jacke des letzten Roßtaler Postillions (siehe Heft IV/1981) eine Glocke, die bis zur Einführung eines Amtsblattes der Marktgemeinde Roßtal zur Ankündigung von Bekanntmachungen durch einen Gemeindebediensteten diente, auch eine Waffe, ein Säbel, ausgestellt. Daß der Säbel, und der soll nachstehend näher betrachtet werden, zum Requisit einer Amtsperson gehörte, ist dank eines von Familie Albert Gegner, Roßtal, dem Heimatverein übergebenen Fotos leicht nachweisbar. Dieses Foto, das ebenfalls ausgestellt ist und auch die Titelseite dieser Ausgabe darstellt, zeigt offenbar den letzten Besitzer dieser Waffe, nämlich Herrn Georg Christoph Gegner, in Uniform mit angelegtem Säbel. Herr Gegner, geb. 1851, gest. 1938, war Schreinermeister, Totengräber und Gemeindediener in Roßtal.
Nun zurück zur Waffe, die irgendwann als Ausrüstungsteil dem jeweiligen mit ortspolizeilicher Gewalt ausgestatteten Bediensteten der Gemeinde Roßtal übergeben wurde.
Zur groben Beschreibung dieses Säbels sei kurz folgendes gesagt: Die Klingenlänge, die leicht konvex geschwungen ist, beträgt ca. 72 cm. Der Griff ist aus Messing und die Scheide aus Leder gefertigt, wobei die Beschläge auf der Scheide aus Messingblech bestehen.
Als es darum ging, nach dem äußeren Erscheinungsbild eine zeitliche Datierung dieses Stückes vorzunehmen, kamen die ersten Schwierigkeiten. Unserer Annahme, daß dieser Säbel im Vergleich dem Modell eines napoleonischen Grenadiersäbels am nächsten käme, der Ende des 18. Jahrhunderts in ganz Europa verbreitet und auch als Ausrüstung im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg zu finden war, wurde nur von einem Experten (1) mit Vorbehalten zugestimmt. Die Meinungen anderer Fachleute gingen in die Richtung, daß es sich um ein Modell der bayerischen Armee von 1806 (2) oder schlichtweg um eine Waffe um 1800 (3) handelt. Der Säbel hat aber eine Reihe von ausgefallenen Besonderheiten, die, wie die Fotos zeigen, recht merkwürdig zu deuten sind. Beide Klingenseiten tragen Ätzungen, die unterhalb des Gefäßes (Griff) ein Rautenmuster erkennen lassen, wobei, ebenfalls auf beiden Seiten oberhalb des Rautenmusters, drei Zeichen folgen, von denen man nur das letzte Zeichen als die Ziffer drei deuten könnte. Über diesem Zeichen ist der Kopf eines beturbanten, schnurrbärtigen Mannes zu sehen, so ausgeführt, wie zeitgenössische Zeichnungen während des Krieges gegen die Türken diese darzustellen pflegten. Darüber folgt ein mit einem Turban geziertes Spruchband, das den Buchstaben B in Schreibschrift sowie die Zahl 68 trägt. Auf der anderen Klingenseite sind eine Sonne eingeätzt, ein nicht definierbarer Schnörkel sowie Sterne und ein Halbmond.
Soviel Absonderlichkeiten und Aufwand bei einer militärischen Waffe aus dieser Zeit sind nicht gut vorstellbar. Massenfertigung von militärischen Ausrüstungsgegenständen war um die Wende zum 19. Jahrhundert längst gang und gäbe und das Ätzen eines Säbels, der sonst kein kunstvolles Aussehen besitzt, darum mit Sicherheit das Produkt einer Massenfertigung darstellt, wäre einem Soldaten, der nicht Eigentümer der Waffe war, bei seinem geringen Sold kaum eingefallen.
So vertritt auch einer der angefragten Fachleute (3) die Meinung, daß der Säbel höchstwahrscheinlich keine militärische Waffe sei, sondern vielleicht der Säbel eines Ratsherren oder städtischen Beamten um das Jahr 1800.
Möglich wäre dies schon, waren doch Säbel und Degen als modisches Beiwerk zur Kleidung im 18. Jahrhundert aufgekommen, und noch anfangs des 19. Jahrhunderts, als durch die Herrschaft Napoleons eine deutschnationale Gesinnung aufkam, machte sich Ernst Moritz Arndt zum Sprecher einer nationalen deutschen Tracht. In seiner Schrift „Über Sitte, Mode und Kleidertracht“, im Jahre 1814 herausgegeben, heißt es u. a.: „... bei feierlichen Anlässen trägt der deutsche Mann ein Schwert .“(a) Wie berichtet wird, wurde diese Modeerscheinung über einige Jahre von solchen, die für die Ideale dieser Zeit schwärmten, aufgegriffen, besonders in der studentischen Jugend, die den altdeutschen Schnürrock und die Waffe als Standestracht noch lange beibehielt.
So wäre es auch vorstellbar, daß, aus irgendeinem städtischen Arsenal, die damals noch das Stadtrecht besitzende Gemeinde Roßtal bei der Übernahme der Markgrafenschaft Ansbach durch das Königreich Bayern zur Ausstattung ihres Ortsgendarmen ein überzähliges Stück erhielt.
Interessant sind die Hinweise eines Experten (2) bezüglich der eingeätzten Motive.
Die als Rautenmuster anzusprechende Ätzung könnte zwar ein Hinweis auf eine bayerische Waffe sein, das Rautenmuster ist aber auch auf Blankwaffen anderer Staaten zu finden und außerdem auch als Ätzornament bei Solinger Fabrikaten „(1)“ bekannt.
Die "türkischen" Motive entstanden nach Napoleons Feldzug in Ägypten 1798/99. Obwohl diesem Unternehmen kein militärischer Erfolg beschieden war, folgte ein großes Interesse in Europa an allem Orientalischen und so sind auch als Modeerscheinung entsprechende Ätzungen auf Degen- und Säbelklingen vorgenommen worden (2).
Nähere Einzelheiten zu diesem Ausstellungsstück konnten bisher nicht ermittelt werden. Das Archiv der Marktgemeinde, das wohl noch einer registrativen Bearbeitung bedarf, könnte vielleicht eines Tages mehr Auskunft darüber geben.
Eine Annahme darf mit hoher Wahrscheinlichkeit wohl als Tatsache gewertet werden, nämlich die, daß dieser Säbel in Roßtal noch nie unheilvoll eingesetzt wurde, also ohne Graus und Gänsehaut betrachtet werden kann. Ein Vorkommnis dieser Art hätte den Chronisten der damaligen Zeit zur Feder greifen lassen und das Wissen um ein solches Geschehen wäre bis heute noch bekannt.
(1) | Deutsches Waffen-Journal, Schwäbisch-Hall |
(2) | Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg |
(3) | Bayerisches Armeemuseum, Ingolstadt |
Edgar Eisenhut, Nürnberg |
(a) | Dr. Widmann: Illustrierte Weltgeschichte, München 1909 |
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Michael Leonhard Reck |
Im Frühjahr 1865 machte sich der Neuendettelsauer „Missionszögling“ Michael Leonhard Reck mit drei Kollegen (Friedrich Grimm, Kaspar Strauß und Robert Helbig) auf die Reise nach Nordamerika, um dort eine Pfarrstelle zu übernehmen.
Michael Leonhard Reck ist am 8. August 1835 in Buttendorf geboren als Sohn des Gütlers und Webermeisters Johann Reck. Dessen Vater Paulus war nach dem Zeugnis des Enkels ein „berühmter Kunstweber und ehrenfester Mann“. Michael Reck erlernte bei seinem Vater das Weberhandwerk. Er schloß sich dem Kreis um den Roßtaler Pfarrverweser Tretzel und Pfarrer Wilhelm Löhe in Neuendettelsau an (s. Heimatbuch Seite 268 ff.!)1. 1857–1862 war er Kaufmannsgehilfe bei Weber und Ott in Fürth. Dazwischen lag seine Militärzeit in Neu-Ulm, die ihn in Beziehungen zu den Württemberger „Stundenbrüdern“ brachte. Von 1862 bis zu seiner Ausreise 1865 studierte er im Missionsseminar Neuendettelsau.
Frau Dagmar Juriz aus Saarbrücken verdanken wir die Überlassung von Ablichtungen seines Tagebuches (139 Seiten) und eine Lebensbeschreibung aus der Hand des Fünfzigjährigen (288 Seiten) sowie der Fotografien. Aus dem Tagebuch seien hier die Abschnitte über die Fahrt nach Nordamerika mitgeteilt:
„Der Abschied war hart. Die Mutter nahm es sehr hart, sich von mir zu scheiden. Ihr war es zumute, als wenn ich zu Grabe getragen würde. Dann sagte sie, sie wird mich auf Erden nicht mehr sehen. Auch stellte sie sich vor, als möchte mir auf der Reise über das Meer ein Unfall geschehen. Ich hörte sie noch eine Weile schluchzen. O, wie weh war mir! Aber es mußte sein! Der Abschied von den Geschwistern war ungleich leichter. Der Vater hatte sich diesem Augenblick entzogen. Ich erachte aus dem Grunde, um nicht vor mir zu erscheinen, wie schwer es ihm fällt, sich auf Nimmerwiedersehen von seinem Sohn zu trennen. Ich nahm ihm solches nicht übel. Der Mutter fiel dieser Abschied jedoch noch schwerer aufs Herz. Nachdem nun auch der Abschied von meinen lieben Fürthern vorüber war, atmete ich etwas leichter auf.
Die Reise soll von Nürnberg aus vor sich gehen. Der Zug, der zu nehmen war, der Anschluß an die Züge hatte, die nach Bremen gingen, geht von Nürnberg morgens um 3 Uhr ab.
Eine Schulkameradin, Maria Horneber2, hatte sich angeschickt, die Reise nach Nordamerika zu unternehmen. Dieselbe diente in Höfles bei einem frommen Bauern mit Namen Sippel. Daselbst wurde sie wohlgehalten, sie hielt sich gut, war tugendsam, getreu und fleißig und hatte das Haus Gottes lieb. Sippel hatte einen Bruder in Nordamerika, der in den fränkischen Colonien eine Bauerei besaß, Frankenhilf, 24 Meilen von Bay-City und 24 Meilen von Saginaw. Derselbe war zur Zeit Witwer und in der Lage, sich wieder zu verehelichen. Er wandte sich in dieser Beziehung brieflich an seinen Bruder in Deutschland. Derselbe kam auf den Gedanken, daß Maria sich als Gattin für seinen Bruder eignen könne. Und da sie schon öfter vom Auswandern gesprochen, so redete er mit ihr und sie – bereits 32 Jahre – willigte ein in diesen Pakt, wenn sie sich uns während der Hinreise anschließen könne. So kam es, daß wir miteinander den Zug bestiegen, die anderen Kollegen waren schon früher abgereist.
Um 11 Uhr vormittags den 31. Mai kamen wir glücklich in Bremen an. Wir waren also 31 Stunden auf der Bahnfahrt, berührten folgende Städte: Bamberg, Hof, Magdeburg, Leipzig, Braunschweig und Hannover. Die ganze Eisenbahnfahrt hatte nichts Besonderes von Interesse für uns. Erst am 3. Juni bestiegen wir das Schiff, es war ein Segelschiff mittlerer Größe. Der Name des Schiffes war May (?).
Wir vier Missionszöglinge erhielten in der 2. Cajüte unsere Cojen. Allda war es etwas erträglicher als im Zwischendeck. Die Seelenzahl des Schiffes bestand aus 300 Auswanderern und der Schiffsmannschaft. Wir waren volle sieben Wochen auf dem Wasser. Am 22. Juli gelangte unser Schiff in Newjork glücklich an. Während dieser Reise führte ich ein Tagebuch. Aus demselben mag einiges hier angeführt werden.
Der 3. Juni war der Pfingstsamstag. An diesem Tage geschah weiter nichts als die Verladung des Schiffes und das Sicheinrichten der Emigranten. Ja, uns stieg die Hoffnung auf, daß das Schiff während der Feiertage noch im Hafen bliebe und wir in die Kirche gehen könnten. Das erwies sich als Täuschung. Um 7 Uhr morgens am h. Tage wurde begonnen, das Schiff aus dem Hafen ins offene Meer zu schaffen. Das war ein mühsam Stück Arbeit, wobei eben Lärm nicht gefehlt hat. Mit einer stillen Pfingstfeier war es nichts, so schien es. Aber nachdem das Schiff die offene See erreicht hatte, wurde es verankert. Wir waren vom Land getrennt, ein Teil der Schiffsmannschaft verbrachte das Fest noch auf dem Lande. Und wir mochten jetzt auch des Pfingstwunders gedenken und in unserem Herzen dem Herrn das h. Fest feiern.
5. Juni, Pfingstmontag. Nun in Gottes Namen auf nach der neuen Heimat und unserem Arbeitsfeld! Ein Dampfer kam an unser Schiff heran und führte es etwa eine Seemeile weit. Das war nötig, denn der Wind war zuwider. Aber auch jetzt noch mußte Anker geworfen werden und gewartet, bis günstiger Wind eintrat.
6. Juni. Der Wind wird uns günstig. Schon um 5 Uhr morgens werden die Anker gelüftet und die Segel gespannt. Seitdem geht die Fahrt gut.
7. Juni. Die Seekrankheit bricht bereits aus. Heftiger Sturm, es wird tapfer dem Kanal zu gefahren.
8. Juni. Heute bekam ich die Seekrankheit. Das Meer ist wieder ruhig, die Fahrt geht langsam.
9. Juni. Die Fahrt geht gut vorwärts. Die Seekrankheit läßt nach. Das Treiben der Leute gewinnt mehr Leben. Das gewohnheitsmäßige Leben beginnt. Man frönt der Eitelkeit und vertreibt sich so die Zeit. An Stoff dazu fehlt es ja nicht. Man kann Bier haben und trinken und diesem Sinnengenuß wird gut zugesprochen. Gruppen finden sich zusammen und spielen Karten. Wieder andere Gruppen lauschen einem Spaßmacher oder Erzähler von Schwanken. Abends wird getanzt. Musik ist reichlich vorhanden: Die Geige und namentlich die Ziehharmonika. Wir 5 leben so ziemlich miteinander abgetrennt vom Haufen, obwohl wir in ihrer Mitte uns befinden müssen. Doch haben wir einige stille und wie es scheint gottesfürchtige Leutlein auf dem Schiff. Diese kommen aus Kurhessen. Mit diesen unterreden wir uns gerne und manche Stunde. Auch sonst hat eine Seereise eine angenehme Seite. Man sieht die Wunder Gottes, wie solche das Meer nahelegt. Man sieht von allen Seiten Schiffe. Eine Weitsicht, wie man sich's vorstellt, weil man der Ansicht ist, das Meer muß eine große Ebene sein, hat man nicht. Man darf wohl sagen, man sieht keine zwei Stunden im Umkreis. Man meint gerade, daß nach einer Stunde Entfernung das Meer aufhört.
Nun sind wir alle etliche Tage auf diesem Kasten und haben bereits es schon recht überdrüssig. Der Gedanke läßt uns nicht los: Nur nicht Segelschiff, Dampfschiff muß doch ganz anders und erfreulicher sein. Und wenn auch dort dieselben verdrießlichen Umstände sind, so lebt man doch der Hoffnung, daß es nicht so lange dauert. Aber auf dem Segler muß man sich auf langes Bleiben gefaßt machen. Es geht wirklich toll her. Nicht allein uns sagt das Treiben nicht zu. Es wird von vielen über die unsittlichen Zustände geklagt. Es hat verworfene Weibsleuthe auf dem Schiff. Die Matrosen erweisen sich in Beziehung zu diesen als Schw ... Auch unter den Passagieren sind solche Kerle. Ich höre soeben, wie einer sagt: Das Schiffsleben ist die Welt im Kleinen. Ich glaube, der hat es getroffen. Und ich höre einen anderen ausrufen: Das Schiff ist ein kleines Zuchthaus (?). Damit kann man doch nicht stimmen. Einen braven und ernsten Capitän haben wir.
Trinitatis-Sonntag (11. Juni). Der heutige Tag brachte uns in aller Frühe einen Sturm. Darauf das schönste Wetter. Das Schiff fährt im Kanal ein. Schon um 5 Uhr hört man schreien: Land! Wir standen sogleich auf. Was man sehen konnte, waren Kreidefelsen, die schneeweiß in einer Entfernung von 3 engl. Meilen vor uns lagen. Auf der Höhe des Felsens nahm man Getreidefelder wahr. Es war ein herrlicher Anblick. Man sagte uns, es wäre eine Festung und heiße Dover. Bald noch eine Stadt. England blieb den ganzen Tag in Sicht. Erst am Donnerstag kam das Schiff endlich aus dem Kanal. Die Fahrt ging gar zu träge. Uns, d. i. mir und Strauß, kann es gleich sein. Wir langweilten uns keineswegs. Strauß hatte während der Ferien etwas Hebräisch gelernt. Sein Lehrer war der Rabbiner der dortigen Synagoge. Auch mich beredete er dazu. Und da wir voraussichtlich eine 7 bis 8 Wochen dauernde Zeit vor uns haben werden, so machten wir uns daran; er Lehrer, ich Schüler. Mancher Tag ging für uns so dahin, daß wir gar nicht gewahr wurden, was auf dem Schiff sonst sich zutrug. Wir saßen meist hinter der Küche. Dort lagen Haufen von Tauen. Dies war unser Platz, hierhin verirrte sich selten jemand.
Es war Freitag nach Trinitatis (16. Juni), als uns das Schiff in den großen Ocean hineintrug. Noch lagen 3000 Meilen Meer vor uns! Aber jetzt geht's auch tapfer voran. Alles ist guten Muts. Und da sich ein alter Schäfer auf dem Schiff befand, der vorgab, er wisse etwas mehr als gewöhnliche Leute, so wisse er auch, daß mit dem 20. Tage seit wir Bremen verließen in Newjork sein werden, so hob sich der Mut Aller, auch Derer, die die Seereise schon recht überdrüssig hatten. Uns Vieren wollte freilich dieses Mannes Aussage nicht glaublich erscheinen, jedoch die Allermeisten glaubten dem Manne, denn sie entsprach ja ihren Wünschen.
Freilich, die Seeleute hatten ein spöttisches Lächeln, wenn man mit ihnen darüber redete, sonst erwiderten sie auch nichts.
Sonntags darauf kam unserem Schiff ein anderes in Sicht, das gerade auf uns zusegelte und das unsere ansprach. Dasselbe kam aus Südamerika, hatte Kohlenmangel, erbat sich vom unsrigen ? und erhielt sie.
2 Wochen sind wir bereits auf dem Wasser. Die Seekrankheit ausgenommen, waren alle Leute gesund. Heute bekamen wir einen recht bedenklichen Krankheitsfall in unserer Cajüte. Die Kranke ist die Frau eines armen Mannes. Grimm und Maria nahmen sich ihrer an. Grimm tröstend, Maria helfend. Es sind arme Leute, sie haben noch drei Kinder bei sich, 4 Söhne befanden sich schon in Amerika, auf deren Veranlassung und pekuniäre Mithilfe sie sich auf die Wanderschaft begaben. Gott möge sich ihrer erbarmen und ihr das Leben erhalten, bis sie mit ihrem Mann und ihren Kindern zu ihren Söhnen gekommen ist.
Im Übrigen geht es recht gut. Die Kost ist gut und reichlich. Die Umgebung dürfte etwas mehr sittliches Gefühl haben. Namentlich zwei Jüdinnen führen sich garstig auf, aller Scham bar. Sie haben ihre Cojen auf der uns gegenüberliegenden Seite. Die an unserer Seite nehmen sich mehr zusammen. Eine Familie zunächst zu uns, mit fünf Kindern, alle noch klein, die hält sich gut. Sodann die erwähnte Familie und noch eine Frau mit zwei Kindern. Die Übrigen sind junge ledige Herren.
Jetzt sind wir so recht mitten auf dem Meer. Sein brausendes Tosen macht einen imponierenden Eindruck. Zuweilen ist derselbe erschrecklich für diejenigen, die ihre erste Seereise machen. Man hört sagen: Wenn man das Gewußt hätte, was für eine Beschaffenheit das Meer hat und was es heißt, eine Reise über dasselbe zu machen, daß es so grausam aussieht und jede Minute gefahrdrohend ist, wir wären nicht fortgegangen.
Angenehm möchte ich das Leben auf dem Schiff gerade nicht nennen. Da ist zuerst das Tag und Nacht dauernde Schaukeln, zuweilen so heftig, daß man sich an einer Leine festhalten muß, wenn man geht, um das Essen zu holen, oder seine natürlichen Bedürfnisse zu verrichten. Und doch geschiet's, daß man sich nicht auf den Beinen halten kann. Man kommt sich vor wie im trunkenen Zustand. Die Gefäße werden von dem Rahmen geworfen, ja es kommt vor, daß man aus dem Bett, resp. Lager geworfen wird. So heftige Wellenschläge hat das Schiff auszuhalten.
Gestern als ich obiges niederschrieb, ließ ich mich vom Augenblick bestimmen. Heute würde ich alles anders geschrieben haben, denn der heutige Tag ist windstill, daher das Meer spiegelglatt daliegt. Bei solcher Windstille geht es auch nicht vorwärts und wirkt erschlaffend und niederschlagend. Lieber frischen Wind. Auch wenn er dem Schiff entgegen kommt, dann wird doch gefahren. So aber liegt das Schiff auf einem Fleck. Mönchlein, ich fürchte mit deinen 21 Tagen ist es Wind! – Das hebr. Studium treiben wir wieder bis spät in die Nacht.
Jetzt am Dienstag geht die Fahrt wieder rasch, fast rascher als je. Und dieser heutige Tag, der uns Seefahrern so guten Wind brachte, ist reich an Gottesvergnügen. Die gute frische Brise gibt Hoffnung, daß wir bald ans Ziel gelangen und es scheint so, als ob der alte 80jährige Mann recht geweissagt habe, der wiederholt aussprach, daß das Schiff ohne einen Sturm zu haben heut' über 8 Tagen in Newjork sein wird. Ich glaube Solches nicht, doch unmöglich wäre es gerade auch nicht. Unser Schiff hatte ja seit der Abfahrt gutes Glück gehabt. Noch keinen heftigen Sturm, noch keinen Todesfall. Unsere Kranke ist wieder besser, wir freuen uns sehr. Wir rufen zum Herrn, daß er uns unser Gebet erhören wolle. Durch seine Hilfe nun ist die Gefahr abgewendet. Gott sei Dank!
O Weh, nun kommt der Wind von einer Seite an das Schiff heran, der es derart erschüttert, daß die Seekrankheit wieder ausbricht. Helbig, Grimm, Strauß, Maria werden ebenfalls davon krank. Auch mir ist es so sonderbar. Kopfweh, schwindelig, etwas übel. Einen Tag später waren in der Cajüte alle außer mir seekrank. Dieser Tag verging mit lauter Wehklagen. Am folgenden Tage, da heißt es im Tagebuch: Heute sind die Brüder Strauß und Grimm etwas besser, auch Maria. Ich selber hatte mich erkältet und einen leichten Schnupfen. Das Hebräische mußte ausgesetzt werden. Heute, also am Freitag, geht es im allgemeinen, was die Krankheit anlangt, besser, auch bei Helbig. Ich kann den Unterricht im Hebräischen wieder aufnehmen, man sehnt sich aber recht nach dem Land. Die Schiffskost wird mit Widerwillen genommen.
Samstag, also am Johannistag. Heute stand ich recht gesund auf, da Strauß recht schwach ist, so trieb ich mein Sprachstudium allein.
... Ich fand die Speise heute ausgezeichnet. Das Schiff geht unter gutem Wind. Die Passagiere sind wieder so ziemlich gesund, doch jedermann sehnt sich Land. Man ergibt sich einer süßen Hoffnung: In 8 Tagen sind wir da.
25. Juni. Herrlicher Tag. Gute Fahrt. Sehnsucht nach Land. Nur noch acht Tage. Im Übrigen geht's gut. Gesund sind wir alle.
26. Juni. Wackerer Wind, heute sehen wir 6 Schiffe.
27. Juni. Der Wind geht schärfer, aber immer noch von Westen. Gesund an Leib und Seele ist unser Befinden. Es mundet die Schiffskost etwas besser, doch steigt die Sehnsucht von Tag zu Tag, Land zu sehen. Ich hoffe, unserem Wunsch wird uns der liebe Gotte in Bälde erfüllen. Vier Wochen dauert bereits die Fahrt. Es wird bald Zeit, daß das Schiff an Land kommt. Im Zwischendeck nehmen die Läuse Überhand, auch böse Luft. Von Seiten des Schiffsvolkes wird alles getan, um alles Schädliche, der Gesundheit Nachteiliges vom Schiff zu entfernen.
Es hat jedoch solche Leute dabei, die, sei's aus Faulheit, sei's aus Dummheit, sich weder waschen noch ans Verdeck gehen, um frische Luft einzuatmen. In einigen Cojen soll ein Gestank sein und alles voll Ungeziefer. Wenn nun die Leute nichts tun wollen, um bessere Zustände zu schaffen, müssen die Bootsleute eingreifen. Solches geschah nun heute: Gegen Abend wurden im Zwischendeck die Schlafstellen von Offizieren untersucht. Da wurden die Weibsleute vorgefunden, die sollten sofort aufs Verdeck und sich waschen und reinigen, ihre Kleider und Decken an die frische Luft bringen etz.
Aber das wollten diese nicht. Da packte sie der Untersteuermann und schleppte sie mit Gewalt die Treppe herauf. Andere brachten eine Wanne, gefüllt mit Seewasser. „So, jetzt wascht euch, oder ihr werdet gewaschen.“
Nun freilich standen die anderen Leute um sie herum, höhnten sie und trieben ihren Spott an ihnen. Das möchte für sie hart gewesen sein, aber gesund.
Es soll das erste Mal gewesen sein, daß sie sich gründlich reinigten und kämmten seit der Abfahrt.
3. Juli. Die Fahrt geht gut. Strauß ist krank, er hat sich wahrscheinlich überarbeitet. Er arbeitet von früh morgens 5 Uhr bis abends solange als die Dunkelheit anbricht. Dazu ist weder die Schiffahrt günstig – das Schaukeln greift den Menschen ohnehin an –, noch die Umgebung. Es ist ein Lärmen und ein Getöse den ganzen Tag hindurch. Auch die Kost ist schwer verdaulich. Das alles wirkt zusammen.
4. Juli. Gute Nacht gehabt. Windstille. Strauß recht krank.
5. Juli. Guten Wind. Es ist eine Wonne, so auf dem Wasser dahinzufliegen, wie ein Vogel. Strauß ist heute noch kränker. Grimm geht seinetwillen zum Capitän, er soll leichtere Speise erhalten.
6. Juli. Nebel. Es wird größte Vorsicht angewendet, das Nebelhorn geblasen. Man wähnt sich in der Nähe von Eisbergen. Strauß ist noch kränklich.
8. Juli. Strauß wird besser...
Der fünfte Sonntag. Gottesdienst von 7–10 Uhr. Sehr müde. Lese noch eine Predigt. Wenn man gesund ist und sich an das Schiffsleben etwas gewöhnt hat, ist eine Reise über das Meer so gar übel nicht. Ich und Strauß betrachten stundenlang das Meer. Man gedenke ja nicht, das Meer wäre derart, daß man sich mit einem Mal satt gesehen hat. Es hat seine Wunder. Es ist ein Werk Gottes und Gott hat alles weislich geordnet...
11. Juli. Heute sitzen wir still. Strauß fängt wieder an zu studieren.
12. Juli. Geht wieder vorwärts. Man sieht fast nichts mehr von Würde und Bedeutung. Es wird einem ekelhaft, immer solch fades Geschwätz hören zu müssen. Wenn es Gottes Wille ist, so kommt das Schiff schon an, wenn heute nicht, dann vielleicht morgen. Wir haben uns darein gefunden. Und in der Tat, unsere Lage ist gar nicht so schlimm. Wir haben zu essen und zu trinken und Gottes Schutz über uns und um uns. Es ist heute Mittwoch. Allem Anschein nach haben wir noch einen Sonntag auf dem Schiff zu feiern.
13. Juli. Unsere Mitreisenden bekommen wieder Stoff zum Schimpfen über die lange und langsame Fahrt. Wir haben Windstille. Aber, Männer und namentlich Frauen, glaubet ja nicht, daß andere Emigranten weniger Übung in der Geduld hatten. Seht, dort fährt seit heute morgen ein Emigrantenschiff parallel mit unserem Schiff. Das kommt keinen Faden vor uns. Den Leuten geht es wie uns. Wir werden alle landen, nur Geduld!
14. Juli. Was ist das? Ein Fischerkahn! Ein Fischerkahn? Das wäre ja ein Zeichen, daß Amerika bald erreicht sein wird! Strauß fühlt sich noch recht müde und recht gedrückten Gemütes. Wir lesen und betrachten miteinander das 6. Kap. des Matth. und Paul Gerhards Lieder ...
Samstag, 15. Juli. Sehr schöner Tag. Das Meer ist ruhig und doch geht das Schifflein ein wenig. O, ich wäre doch froh, bald an Land zu sein!
Sonntag, 16. Juli. Hoffentlich ist das der letzte Sonntag. Wir erbauen uns durch die Betrachtung des Gotteswortes, das Sonntagsevangelium und die Epistel. Auch die Fahrt geht gut.
17. Juli. Strauß ist wieder ganz gesund ...
18. Juli. Immer noch kein Land. Es scheint noch einige Tage zu währen. Die Mitreisenden der zweiten Cajüte stehen in Furcht vor Läusen, weil es mit diesem Ungeziefer im Zwischendeck arg ist.
19. Juli. Wie es scheint, sind wir bald da. Ein Lotse hat bereits unser Schiff besucht. Aber der Wind ist uns entgegen. Infolgedessen mögen noch einige Tage draufgehen.
Donnerstag, 20. Juli. Alles ist zum Aussteigen fertig. Nur er nicht, der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn. Gegen Abend sah man von drei Seiten Land, einen Leuchtturm. Die Freude ist groß. Maria weint vor Freude.
Freitag, 21. Juli. Langsam voran. Heute bleiben wir noch, wo wir sind. Vielleicht wird morgen gelandet.
Samstag, 22. Juli. 1865. Schon um 4 Uhr alles auf den Füßen. Es steigt ein Gewitter auf im Westen. Dasselbe naht sich unserem Schiff mit furchterregender Gewalt. Blitz auf Blitz und schwere Donnerschläge. Hielt nur kurze Zeit an. Jetzt bricht der Tag an. Das Meer ist erregt und heult. Die Matrosen ziehen die Segel ein und lärmen wie gewöhnlich. Unterdessen sieht man Land in der nächsten Nähe. Wäre der Regen nicht in Strömen herabgefallen und hätte man nicht mit Einpacken, Waschen, Ankleiden resp. Umkleiden und sich zum Aussteigen, Fertigmachen zu tun gehabt, so hatte man einen unvergeßlichen Eindruck von dem Hafen von Newjork gehabt und ins Leben mitgenommen. Die Scenerie ist unbeschreiblich schön: Wie schön lagen vor uns die prächtigen Laubwälder zu beiden Seiten. Wie einladend die Anlagen, die Massen von Schiffen, darunter mächtige Kriegsschiffe. Danach die Befestigungswerke an beiden Ufern und welche Prachtgebäude. Das und wie Vieles noch ist zu sehen. Man wird davon erfaßt und hingenommen, erfrischt und belebt. – Um 7 Uhr war es, da dampfte ein Schiff heran und nahm das unsre und schleppte es vollends an Ort und Stelle. Mit diesem Dampfer kamen zwei Ärzte, um den Gesundheitszustand zu überprüfen. Letzterer wurde vortrefflich befunden. Gott sei Dank! 7 Wochen dauerte die Reise und sämtliche Leute befinden sich noch da. Es ist kein Todesfall eingetreten und gesund sind wir auch alle. Ende gut, alles gut.
Nun, in der größten Aufregung, kommt Maria, klagt bitter, daß man sie nicht zu ihren Kisten lasse. Jedermann kleidet sich festlich und feierlich an, nur sie allein müsse mit ihrer gewöhnlichen Kleidung an Land. Gut, wir suchen ihre Kiste – und auch dieses war geordnet. Da kommt das Schleppboot. Dieses nahm unsere Sachen und uns und schleppte uns vollends zum Castle-Garden. 2 Uhr als wir angekommen waren.
Nun ging die Examination des Gepäckes vor sich. Ich und Helbig, wir hatten das bittere Geschick, daß unsere Kisten mit Beschlag belegt wurden. Logis nahmen wir und Maria in einem Hotel, das in der Greenwich Street gelegen. Preis à Tag one Dollar Gold. Man fühlt sich wie umgewandelt. Man kann die Wäsche wechseln, sich ordentlich waschen, satt trinken und frisches Brot und Fleisch essen.
Sonntag, den 25. Juli. 1865. Der erste Tag in Amerika! Unser erster Gang ein Kirchgang. Unser Hotel gehörte zu den Besseren. Unsere Wirtin machte uns auf die in der Nähe gelegene Matthäuskirche aufmerksam. An dieser stand der evang.-luth. Pastor Dr. Kohlmann. Wir freuten uns, und wie, daß wir in eine deutsche Kirche gehen konnten. Die Wirtin führte uns dahin. Sie ging gleich in die Sakristei. P. Dr. Kohlmann war bereits da. Da stellte sie uns vor. Wir machten somit zugleich die beste uns zusagende Bekanntschaft. Er lud uns sofort auf den Nachmittag in seine Wohnung ein. Wir machten davon Gebrauch. Dies alles geschah nicht ohne Gottes Fügung. Wir wurden hierdurch auf die Castlegarden-Mission aufmerksam gemacht. Und auf den Emigrantenmissionar R. Neumann. Da wir natürlich auch über unser Mißgeschick in bezug des beschlagnahmten Gepäcks redeten, so wurde uns hierüber der beste Rat zuteil. Morgen um 9 Uhr werden wir R. Neumann in der Office der Deutschen Gesellschaft treffen. Ihm mögen wir die Angelegenheit übergeben, dann geht alles zum Besten. Auch wenn wir Geld zum Auswechseln hätten oder Wechsel zum Einlösen, das alles wird Neumann zur besten Zufriedenheit besorgen. Mit solchem Bescheid schwand unsere Besorgnis. So sorgt der liebe Gott und führt alles zum Guten, wenn wir ihn walten lassen.
Am rechten Ufer des Missisippi, 22 Meilen südlich von Dubuque, liegt ein Städtchen, Bellevue mit Namen. Daselbst befindet sich eine kleine Gemeinde, welche von Pastor Schuller gesammelt und pastorisiert wurde. Eine Kirche besitzt diese Gemeinde noch nicht. Die Gottesdienste werden im Courthouse abgehalten. Hier also in dieser Gemeinde habe ich meine erste Predigt gehalten. Das war am 3. September 1865. Es sind seit der Landung 6 volle Wochen. In dieser Zeit wurde einem jedem seine Stellung. Strauß und Grimm erhielten ihr Arbeitsfeld in Ohio. Helbig wurde einer Gemeinde vorgestellt und von dieser berufen, Sherville Mount, 10 (Meilen) nordwestlich von Dubuque. Ich wurde nach Andrew, Iowa, gesandt zu Pastor Schuller, welcher einen Gehilfen braucht. Und Maria wurde mit Sippel in Frankenhilf, Michigan, verheiratet.
Erst als ich in Toledo, Ohio, eingetroffen war, konnte ich meine Amerikareise als vollendet ansehen.
Jetzt waren wir bei Brüdern. Die beiden Toledoer Pastoren Dörfler und Deindörfer kannte ich bereits von Deutschland her. Dörfler lernte ich noch in der Missionsanstalt kennen, und Deindörfer ist ja aus Roßtal gebürtig, mit dessen Eltern und Brüdern ich seinerzeit ein Herz und eine Seele war.
Aber noch lag mir Maria schwer auf dem Herzen. Ich hatte es ihrem Vater versprochen und ich hatte es auch ihrem Seelsorger versprochen, daß ich mich solange ihrer annehmen wolle, bis sie entweder verheiratet oder so ein Unterkommen gefunden hat, daß man über ihr ferneres Ergehen in diesem ihr ganz fremden Land einigermaßen beruhigt sein konnte. Nach einigen Tagen Ruhe drängte sie zur Weiterreise. Am 30. Juli bestiegen wir den Train nach Detroit. In Detroit stand Jordan aus Fürth (als Pastor), dessen ? und Schwester mir sehr liebe Freunde waren zu der Zeit, als ich noch in Fürth war. Ich hatte dessen Adresse, so daß wir seiner bald ausfanden. Dort blieben wir bis zum anderen Tag. Dann begleitete er uns auf das ?, welches wir zur Weiterreise zu nehmen hatten und besorgte alles Weitere. Das war mir eine Hilfe, denn mein Englisch, das ich von zuhause mitbrachte, war unverwendbar.
Schon um 3 Uhr nachmittags waren wir in Saginaw. Neue Ratlosigkeit - neue Hilfe! Frankenhilf liegt 25 Meilen von Saginaw. Wir gehen durch die Stadt dahin, der Landung zu, weil man uns berichtet hatte, daß wir von hier aus nach Bay-City per Steamboat weiterzureisen hätten und von dort aus mit der Stage nach Frankenhilf. Das Hasten und unsere Kleidung fiel auf. Da trat ein Mann uns entgegen: Woher, Landsleute, und wohin? Nach der bereits gemachten Erfahrung wollte uns der herangekommene Landsmann gar nicht recht gefallen. Doch stand ich ihm Rede und Gegenrede. Da es sich nun ergab, daß er in Wahrheit ein Landsmann von mir und Maria war, so wurden wir zutraulich. „Unsinn“, sprach er, „Ihr geht mit mir nach dem Bairischen Hof, dort hoffe ich noch einen Farmer zu treffen aus Frankenmuth. Damit könnt ihr sofort bis dahin kommen.
In Frankenmuth geht ihr zu Nüchterlein, der ist Sippels Schwager. Dort bleibt ihr und laßt den Sippel kommen. Glaubt ihr nicht auch, daß wenn ihr so tun würdet, dies mehr Art hätte, als wenn ihr gleich in Sippels Haus eintreten würdet und sagen: Hier ist deine Braut?“ Wir mußten zustimmen, daß der Rat sehr gut wäre. So geschah es, daß noch ein Farmer im Bairischen Hof war, der sich mit Freuden bereit erklärte, uns mitzunehmen. Noch vor Sonnenuntergang waren wir bei Nüchterlein. Auch dieser Mann war mir von Roßtal her bekannt. Nüchterlein sandte tags darauf Botschaft an seinen Schwager.
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Michael Leonhard Reck Spring Valley, Minnesota, USA. Dieses Bild hängt in der Kirche in Spring Valley. |
Frankenmuth ist eine der Löheschen Colonien. Diese Colonien entstanden durch Löhes Vermittlung in den Jahren 1845–1846, wuchsen und gediehen recht gut. Man nannte fünf Orte als Colonien, nämlich Frankenmuth, Frankentrost, Frankenlust, Frankenhilf und Amily und noch eine Ortschaft, die auch dazu gerechnet wurde, Mittelfranken. Frankenmuth war wieder die Mutter der Übrigen. Die erste Bevölkerung dieser Colonien kam der Mehrzahl nach aus meiner Heimat. Daher waren mir ein gut Teil Leute bekannt. In Frankenmuth stand zur Zeit O. Fürbringer (als Pastor). Nach heimatlichem Brauch wurden Morgengottesdienste gehalten. Bei dem nächsten Gottesdienst sollten sich die beiden sehen, so war es ausgemacht, und so geschah es.
Sippel sah Maria und Maria sah Sippel. Morgen soll Maria nach Sippels Wohnung kommen und besehen, wo und wie er wohnt und was er hat. Ein Helfer aus der alten Heimat, mit Namen Zucker, brachte uns Beide, Nüchterlein und dessen Frau zur 12 Meilen entfernt liegenden Farm des Sippel. Das Besehen nahm sozusagen fast keine Zeit. Mir lag daran, die Angelegenheit zu Ende zu bringen, und als ich den Zeitpunkt gekommen glaubte, sagte ich zu Sippel: „Herr Sippel, Sie haben die Jungfer, die Ihnen auf brieflichem Weg durch Ihren Bruder bekannt wurde und die jetzt von mir in Ihr Haus begleitet, gesehen. Wie ist es, wollen Sie die Maria nehmen?“ – „Mir ist es recht.“ – „Und nun, Maria, wie steht's mit Dir?“ – „Mir ist es auch recht.“ – „So gebt auch die Hände und feiert Verlobung!“ Das geschah. 6 Tage später wurde Hochzeit gefeiert.
Gleich darauf verließ ich Michigan und reiste nach der Wartburg, via Detroit, Toledo, Chicago, Dubuque. Wartburg ist der Name, welchen sich das Predigerseminar von Iowa beigelegt hat; das befand sich in Clayton, Iowa, 20 Meilen westlich von Dubuque. An dem Seminar lehrten die Gebrüder Friedrich und Kaspar Großmann, welcher der Vorsitzende der Iowa-Synode war und noch ist bis auf den heutigen Tag. Eine Woche lang blieb ich daselbst. Mein Freund Friedrich Eckert war Knecht am Seminar. Von ihm wurde ich über manches mir bisher unbekanntes Amerikanisches belehrt. Die Tage gingen dahin im Nu. Meine vorläufige Verwendung wurde beraten und beschlossen, daß Dr. Schuller eine Kollektenreise machen muß, um etwas von der Schuld, die das von ihm gebaute Waisenhaus in Andrew belastet, herabzubekommen, er einen Vikar bekommen soll und daß ich diese Stellung übernehmen sollte.
1 | Zu diesem Kreis rechnet Reck auch zwei Tiroler, Hotter und Tremler, aus dem Zillertal, „welche um ihres evang. Glaubens willen 1835 mit 400 Brüdern von dort vertrieben wurden“. Über Hotter vermerkt das Roßtaler Sterberegister 1884: „Geboren den 8. Aug. 1800 zu Ahornach im Zillerthale in Tyrol, zur Ev. Kirche übergetreten und 1837 nach Schlesien ausgewandert.“ Über Tremler findet sich keine Notiz in den Kirchenbüchern. |
2 | Vermutlich Anna Maria Horneber, geb. 6. Nov. 1832 in Deberndorf, 1846 in Roßtal konfirmiert. |