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Dieter Koerber

Ein Zeuge aus alten Tagen

Liegende Grabplatte
mit dem Wappen Buttendorf
in der Klosterkirche
zu Heilsbronn

Im hinteren Quergang der Laurentiuskirche fand sich am Mittwoch, 2.4.1986, unter dem heutigen Fliesenbelag die oben abgebildete Grabplatte. Der gelbliche Sandstein von etwa 1,50 m Länge und 0,80 m Breite trägt in seinem mittleren Drittel, in einem etwa quadratischen Feld, ein durch einen waagrechten vertieft dargestellten Balken dreiteiliges Wappenschild. Die Platte lag bündig mit dem alten roten Ziegelfußboden. (Reste davon sind an der rechten unteren Ecke des Steines zu erkennen.) Möglicherweise handelt es sich um den Stein, den der Richter Rhau 1718 auf der Suche nach dem Grab des Herzogs Ernst gefunden hatte. Ob man in dem Stein eine Erinnerung an die spärlich bezeugten Ministerialen von Roßtal sehen darf? Dann gehörte der Stein noch dem 12. Jahrhundert an. Auch die Herren von Buttendorf und von Leonrod hatten ähnliche Wappenschilde. Der Stein wurde nach Aufnahme durch die Außenstelle Nürnberg des Landesamtes für Denkmalpflege sorgfältig abgedeckt und wieder mit dem neuen Bodenbelag übermauert.

Literatur:

Kreutzer/Düthorn: ROSSTAL Vergangenheit und Gegenwart 1979, S. 85
Rohn, Heimatbuch von Roßtal und Umgebung, Roßtal 1928 Seite 4. Dort die nebenstehende Abbildung.
Über den genealogischen Zusammenhang der Ministerialen von Buttendorf und von Leonrod neuerdings: Gerhard Rechter, Die Herren von Leonrod, in: Josef Kollar (Herausgeber), Markt Dietenhofen, 1985

Dieter Koerber

Eine Jugend in Roßtal, 1835–1857

Am 8. August 1885, seinem 50. Geburtstag, beginnt der Pfarrer Michael Reck, eine Lebenserinnerungen zu schreiben. 1865 ist er als Pfarrer nach Amerika ausgewandert. (Der Bericht über seine Überfahrt in Heft 10 [II, 1984].)

Reck schreibt in Amerika für seine Kinder, die die alte Heimat nicht mehr kennen. Er schreibt als Kind seiner Zeit, als Pfarrer und engagierter Christ, auch darin Kind seiner Zeit. Er schreibt auch aus kritischer Distanz, Vergleiche ziehend mit der neuen Welt, in der er jetzt lebt. Aus seinen oft recht weitschweifigen, oft auch sehr persönlich gefärbten Erinnerungen können die folgenden Passagen uns dennoch ein authentisches Bild des Lebens in Franken ins den Jahren 1835 bis 1857 geben.

„Ich, Leonhard Michael Reck, bin geboren am 8. August 1835. Meine Eltern waren Johann Reck und Friedericke Reck, eine geborene Staubitzer. Mein Vater wurde im Jahre 1811 geboren zu Buttendorf und ist bereits 62 Jahre alt zur ewigen Ruhe eingegangen. Meine Mutter wurde geboren 1804 zu Fernabrünst und ist 79 Jahre alt im Hause meiner Geburt bei meinem jüngsten Bruder Johann vor zwei Jahren seeliglich im Herrn entschlafen. Der Ort, wo ich geboren bin, heißt Buttendorf, ein kleines Dorf mit einer Kirche, worin das Jahr fünfmal Gottesdienst gehalten wird. Dies liegt in der Nähe von Nürnberg, im Königreich Bayern. Die heilige Taufe empfing ich gleich am Tage meiner Geburt in der Pfarrkirche von Roßtal. Mein Taufpate heißt Leonhard Michael Reck. Mein Vater war seines Standes Weber und der Besitzer einer kleinen Brauerei.

Beides, die Weberei wie das Bauerngut, erbte er von seinem Vater, Paulus Reck, welcher ein berühmter Kunstweber war und charakterfester Mann. Das Land meiner Geburt, Bayern, ist ein christliches. Es zählt fünf Millionen Einwohner, die sich zu zwei Drittel Teilen der römisch-katholischen Kirche bekennen und einem Drittel Teil zur evangelisch-lutherischen Kirche gezählt werden. Mein Geburtsort liegt so recht in der Mitte der ev.-luth. Christenheit. Meine Eltern, Großeltern, Urur- und Urgroßeltern gehörten zu dieser Kirche hinauf bis zu Georgs, Markgraf von Brandenburg, und Dr. Martin Luthers Zeit. Dieser echt evangelische Geist der lutherischen Kirche, die Gottes Wort lauter und rein lehrt und bekennt und die heiligen Sakramente nach Christi Willen in Wort und Lehre verwaltet, war die Atmosphäre, in der ich heranwuchs. Diese geistliche Luft atmete ich im elterlichen Haus, in der Schule, in der Kirche …

Bis zum 6. Jahr soll ich körperlich recht schwach gewesen sein, vielmals krank und so gar nicht recht lustig wie die anderen Kinder. Mir ist aus dieser Zeit nur wenig bekannt, doch das wenige ist genug, dem beizustimmen. Nämlich, ich erinnere mich noch lebhaft, wie ich lange Zeit Atmungsbeschwerden hatte, die meinem kindlichen Empfinden recht lästig waren, so daß ich wünschte und seufzte, sterben zu dürfen ...

Zu dieser Gebrechlichkeit kamen bettlägerige Krankheiten und einmal eine Art Beinbruch. Letzterer Umstand ereignete sich im Sommer, so daß ich diese schönste Zeit im Jahr mußte teils im Bett und, wenn außer demselben, doch zu Hause zubringen. Meine Mutter, wie alle deutschen Bäuerinnen, half auf dem Felde. Zu meiner Beaufsichtigung einerseits und andererseits zur Wahrung meines drei Jahre jüngeren Bruders Wolfgang war ein unerfahrenes junges Mädchen bestellt. Diese kam einmal meinetwegen in Angst, lief aufs Feld, schrie: Michael ist tot, er atmet nicht mehr. Vater und Mutter liefen, was sie konnten - und fanden's so. Jedoch bald stellte sich das regelmäßige Atmen wieder ein, und ich genaß.

In meiner Heimat war es Gesetz, daß ein Kind von sechs Jahren die öffentliche oder Staatsschule zu besuchen hat. Ich kam erst im 7. Jahr zur Schule. Wohl war mein körperlicher Zustand die Ursache. Auf derselben blieb ich bis zum 14. Jahre. Ich hatte große Lust zu lernen, besuchte täglich die Schule und blieb bloß nur zurück, wenn es Krankheit unmöglich machte.

Diese Schulen sind in vielen Stücken besser als hierzulande. Daselbst unterrichten gründlich ausgebildete Lehrer, die das Zeugnis von Charakterfestigkeit haben müssen. Dann wird dort Besseres gelehrt als hier. Man wird unterrichtet, außer Lesen, Schreiben, Rechnen, Geographie, in der Naturgeschichte, Vaterlands- und Weltgeschichte, die Hauptsache ist, in der Religion. Gleich, sobald man die Schule bestritt, wird dem Auffassungsvermögen der Kinder angepaßt Unterricht gegeben in der biblischen Geschichte und Katechismus ...

Mein Hauptlehrer war Kantor Schneider, ein bereits bejahrter Mann. Er war ein strenger Pädagoge, ein einsichtsvoller erfahrener Lehrer und ein bibelgläubiger Christ. Ich bin ihm nächst meinen Eltern viel Dank schuldig.

Als ich ins 13. Jahr ging, wurde ich in die Präparandenklasse aufgenommen. In diese trat ich mit einer zartbesaiteten Seele, empfänglich für reichere Erkenntnisse der Heilslehre, ja gewissermaßen hungernd und dürstend danach.

Wir waren unserer 60 Präparanden. Der Unterricht fand wöchentlich zweimal statt an Dienstag und Donnerstag von 10 auf 12 Uhr. Der Lehrer war Pfarrverweser Friedrich Zink, ein noch junger Mann voll Eifer und heiligen christlichen Ernstes ...

Wieweit dies sein Amt Erfolg hatte, ist mir an anderen nicht bekannt: Aber dies weiß ich, daß sein treuer Dienst an mir nicht vergeblich gewesen ist.

Der Unterricht währte von Septuagesimae bis Himmelfahrt.

Auf den Präparandenunterricht folgte der Konfirmandenunterricht im nächsten Jahr, 1849. Derselbe wurde gegeben von Pfarrer Huhne. Er war erst seit kurzem als erster Pfarrer an der Pfarrkirche in Roßtal eingezogen. Seiner Bekenntnis nach war er ein Lutheraner, seiner Gesinnung nach ein Rationalist, aber einer von den Besseren, der die Bibel als heiliges Buch hoch achtete und ein streng Leben selber führte, seine große Familie (es waren ihrer 9 Kinder) musterhaft erzog und leitete und auf einen ernsten Lebenswandel seiner Gemeinde hielt. Demgemäß war denn auch der Konfirmandenunterricht, der anfänglich bis Ostern in einem Schulsaal, später in der Kirche gegeben wurde ...

Die Konfirmation fand statt am heiligen Pfingsttag 1849. Am Freitag vorher ging eine Anzahl Konfirmandenknaben in den Wald und holte Birkenbäume, Majen genannt. Mit diesen wurde die Kirche geschmückt. Die Mädchen halfen in gleichem zum Schmucke, indem sie Feldblumen sammelten und Kränze daraus banden. Mit diesen Blumenkränzen wurden die Kanzel, der Altar, der Taufstein sowie die Eingangspforten geschmückt. Dies geschah, wie erwähnt, am Freitag. Der Pfingstsamstag war der Vorbereitungstag. Nachmittags um zwei Uhr begann die Beichte. Es wurde vorher einem jeden Konfirmanden ein Formular zum Auswendiglernen von seinem Beichtvater übergeben. Dieses sagte er in kniender Stellung, empfing hierauf die Absolution und noch einige gute Worte von seinem Beichtvater. Mein Beichtvater war der zweite Pfarrer, Rieger mit Namen, ein Eiferer ums lutherische Bekenntnis, ein gewaltiger Prediger des reinen Evangeliums, ein Vater der reumütigen sündigen Kinder der Kirche, ein reich begnadeter Seelsorger. Ich verließ hoch innerlich erfreut die Sakristei, wie der Zöllner den Tempel, und ging heim zu meinen lieben Eltern gerechtfertigt, Amen ...

Als der Tag der Pfingsten erfüllt war, an welchem ich mit noch 59 Konfirmanden meinen Taufbund erneuern durfte und den Segen der Kirche empfangen, riefen uns die Glocken zusammen. Es waren ihrer vier. Wir Konfirmanden kamen um 8 Uhr morgens ins Pfarrhaus. Um halb neun Uhr begannen sämtliche Glocken zu läuten. Nun setzte sich der Zug in Bewegung zur Kirche. Die beiden Pfarrer an der Spitze, im Gefolge immer zwei nebeneinander. In der Kirche angekommen begann die Orgel, und begleitet von den herrlichen Tönen nahmen wir unsere Plätze ein. Die Kirche, ein Gebäude, welches Platz für 1500 Menschen bietet, füllte sich. Und nun begann die heilige Feier. Eine Weihe erfüllte das Gotteshaus, eine Menschenmenge feiert ein Fest, eines der hohen Feste, eines, wo 60 junge Christen ihren Taufbund feierlich erneuern und das erste Mal zu Gottes Tisch treten. Diese jungen Christen waren sämtlich vom Kopf bis zum Fuß neu gekleidet, ein jeder mit einem Blumenstrauß noch sonderlich geschmückt. Desgleichen Altar und Taufstein in höchstem Schmuck. Über dem Taufstein befanden sich zwei Kronleuchter, die ein Licht in den halbdunklen Schiffsraum von mehr als 100 Wachskerzen ausströmten. Desgleichen mochten sich an die 100 Kerzen auf dem Altar befunden haben. Die Altarkerzen, welche heute angezündet leuchteten, waren meist von Konfirmanden gestiftet. Es bestand zu dieser Zeit die Sitte in der Gemeinde, daß wenn ein Kind von einer Krankheit genesen oder auch wenn gar keine sonderliche Krankheit das Leben eines Kindes bedrohte, die Eltern ein Gelübte taten, daß, wenn Gott es dahinkommen läßt, daß dies Kind seinen Taufbund erneuern werde, eine Stiftung dem Gotteshaus gemacht werde. Einige brachten ihr Opfer in Geld, einige so, indem sie ein paar Kerzen stifteten. So brachten denn auch meine Eltern ein Paar für den Altar für heute.

Der Gottesdienst dauerte bis ein Uhr. Nachmittags um zwei Uhr war wieder Predigt. Diese wurde von sämtlichen Konfirmanden besucht, desgleichen von der Gemeinde in gleicher Zahl wie am Morgen.

Mir war es diesen Tag sehr feierlich zumute. Die Eindrücke waren so nachhaltig, daß mein Empfindungsvermögen sie nicht alle zu fassen vermochte. Mit Beben trat ich vor die Stufen des Altars, um den Leib des Herrn und sein teures Blut zu empfangen, wankend verließ ich am Vormittag das Gotteshaus. Zu Mittag wollte mir kein Essen munden. Der Nachmittagsgottesdienst, an welchem Pfarrer Rieger eine lange Predigt hielt, hatte für mich nicht das, wozu er berechnet war, nämlich eine Mitgabe fürs Leben. Nun, einige Sätze vermochte ich zu fassen und zu behalten. Am zweiten Pfingsttag trafen wieder alle Konfirmierten an ihren Plätzen ein, nur mit dem Unterschied, daß die Mädchen ein anderes Kleid trugen als gestern. Gestern Abendmahlskleid, Farbe: dunkel, heute Feierkleid, Farbe: hell. Die Buben meist im selben Anzug wie gestern. NB, ich war an meinem Konfirmationstag in die damals unter den Bauern in jener Gegend bestehende Tracht gekleidet.

Acht Tage später trafen wir nochmals in der Kirche auf unseren Konfirmandensitzen zusammen, nochmals feierlich mit Blumen geschmückt, um am Dreieinigkeitsfest würdiglich die Pfingstfeier zu beschließen.

II

Einen Abschnitt meines Lebens habe ich durch Gottes Gnade zurückgelegt. Als Mensch gedieh meine Entwicklung soweit, daß sie die Frage stellte, was soll nun aus dem Knaben werden. Es war so Sitte, daß nach der Konfirmation der junge Mensch an eine Berufstätigkeit gestellt wurde, mit anderen Worten, daß er von nun an sich für seinen dereinstigen Beruf vorzubereiten hatte, der die Grundlage seinen Erwerbs, mit welchem er im Kampf ums Dasein eintreten werde. Der Knabe wurde dann, je nachdem es Umstände, Begabung, Stand und Vermögensverhältnisse nahelegten, auf die Farm, Werkstatt oder höhere Schule verwiesen; das Mädchen ingleichen. Ein gut Teil von den 1849 in der Pfarrkirche zu Roßtal Konfirmierten hatte um des Broterwerbs willen sofort das elterliche Haus verlassen, als Knechte oder Mägde bei einem Bauern oder in der Stadt. Wieder andere kamen in die Lehre bei irgendeinem Handwerker. Auf eine höhere Schule kam meines Wissens auch nicht einer, auch nicht eine.

Was wurde denn nun mit mir angefangen? Leute im Dorf meinten, der Vater solle mich nun in einer höheren Schule unterbringen, dann sagten sie, zur Arbeit auf der Brauerei wäre der Bube doch zu schwach, und einen gescheiten Kopf hat er. Letztere Redensart hat mir immer etwas gekitzelt und dünkte mich Wunder was zu sein, mehr als meine Kameraden. Und meine Eltern? Ja, meinte die Mutter, er hat immer, wo man ihn nur trifft, die Bücher in der Hand, nur arbeiten will er nicht. Der Vater sagte, das ist alles schon sehr schön, was die Leute sagen, aber ich habe kein Geld, um ihn studieren zu lassen, an die Arbeit auf dem Feld. Das war von nun an mein Los: im Sommer Feldarbeit, im Winter Weberei. Und ist es so gewiß gottgefällig und rechtens gewesen, daß ich von nun an 9 Jahre bei Vater und Mutter blieb. Hart, ja rauh, war mein mir beschiedener Lebensweg von nun an. Die fremden Leute wurden entlassen, ich wurde an deren Stelle befohlen. Mit dem Vater bearbeitete ich das Feld, lernte die Feldarbeiten verrichten. Dazu unterstützte mich eine Geschicklichkeit, welche körperliche Kraft ersetzte. Der Mutter half ich solche Arbeiten zu verrichten, die ihr allein zu viel und schwer gewesen. Ich schaffte für das Vieh Futter herbei, ging am Morgen vor dem Frühstück mit Sichel und Schubkarre auf die Wiese oder aufs Kleefeld und holte eine Last, nötig für einen Tag. Wenn Waschtag war, wollte sie, daß ich ihr dabei half, desgleichen, wenn sie zu Markte ging mit Butter, Eier, Geflügel, so hatte ich zu Hause ihre Stelle einzunehmen. Und dies geschah wöchentlich im Sommer ...

So vergingen denn die Jahre gleichförmig dahin. 6 Tage harte Arbeit, am Sonntag Kirchgang und ins Wirtshaus. Jeden Sonntag wurde zur Kirche gegangen. Drei englische Meilen hatten wir zu gehen. Derselbe Kirchgang Vollzug sich gruppenweise vom Dorf e aus. Die Alten, wie man sagte, zusammen zur Kirche, die jungen Leute ingleichen. Da wurde dann viel geplaudert und gescherzt auf dem Wege. In der Kirche war man zerstreut oder schlief. Und so ging's gewohnheitsmäßig fort und fort... Am Nachmittag suchte sich jeder auf seine Weise für die Wochenarbeit zu entschädigen. An manchen Sonntagen durch Tanz, immer durch Wirtshausgehen, dort zu trinken, einander zu erzählen, manchmal singen und oft spielen. Die Mädchen und Frauen hatten ihr Vergnügen durch zusammengehen, sich ebenfalls die Neuigkeiten zu erzählen, durch zu klatschen und in dieser Weise sich zu vergnügen. So mußte der Sonntag beides sein, ein Holyday und Holiday ...

Die Mutter, keine kenntnisreiche, aber sonst strenge, rechtliche Frau, die in Einfalt an der christlichen Heilslehre hielt, hatte ein waches Auge über mich, ihren ältesten Sohn. Die Verführung ist groß, pflegte sie zu sagen und darum muß man nicht überall sein. Wenn mich die Lust anwandelte, doch auch mitzumachen, gebrauchte sie ein stummes, doch recht wirksames Mittel, mich zurückzuhalten: sie gab mir kein Geld. Sie hatte nämlich das Geld in Verwahrung und reichte selbst dem Vater nur, was er notdürftig brauchte, weil er zuweilen Neigung zum Kartenspiel hatte. So wurde ich denn in den Jahren, die man pflegt die dummen zu nennen, vor viel ärgerlichen schädlichen Einflüssen bewahrt. Und das war eine Gnade für mein Leben. Ich hatte ja schon als Knabe Lust zum Lesen. Jetzt erwachte dieselbe mit Macht in mir. Da ich nichts von Romanen wußte (glücklicher junger Mensch), auch keine Zeitung vorhanden war, so nahm ich das heiligste Buch zur Hand. (Möglicherweise, wenn anderes Lesezeug dagewesen wäre, hätte ich an die Bibel nicht gedacht.)

Es war im Dorf damals Brauch und Sitte, daß im Winter, wenn das Dreschen getan, die weibliche Jugend ans Spinnrad mußte. Abends nun, wenn die Stallarbeiten getan waren, nahmen die Bauerntöchter und Mägde ihre Spinngeräte, um in ein Haus zu gehen und da in Gesellschaft zu spinnen. Diesen Versammlungsort nannte man die Rockenstube. An selben Ort kam zur Gesellschaft auch die männliche Jugend. Diese unterhielt sich mit Rätselaufgeben, Spaßmachen, Geschichtenerzählen und Kartenspielen. Gesponnen wurde etwa bis 10 Uhr. Dann tummelten sich ein bis zwei Stunden die Buben und Mädchen herum. Die Hausleute haben den jungen Leuten das Feld geräumt, sind schlafen gegangen, und so konnten jene ihren Unfug treiben. Zuweilen wurde getanzt, zuweilen gesungen, weltliche, mitunter auch unsittliche Liebeslieder, zuweilen fade Spaße gemacht, zuweilen schlüpfrige Spiele gespielt. Und so ging dies den ganzen Winter hindurch. Am genannten Winter wurde ich auch von Kameraden eingeführt in diese Räume, fand Gefallen daran, war von der Lust ganz hingerissen, denn solches Leben war mir neu, und die Neuheit reizte, doch für die Dauer fand meine Seele kein Genüge daran.

III

Es lebten im Dorf noch zwei Männer voll entschiedenen Glaubens und Gottesfurcht: 2 Tiroler, die anno 1835 um des Glaubens aus dem Zillertal mit ungefähr 400 Seelen von der katholischen Kirche vertrieben wurden. Ihnen schloß ich mich an. Ihre Namen waren Hotter und Trempler.

Durch diese Männer wurde ich in christliche Kreise eingeführt, durch welche mir eine himmlische Welt aufgeschlossen wurde.

Um das Nachfolgende zu verstehen, muß ich etwas aus der Zeitgeschichte vorausschicken. In den 30er Jahren, da bereits in der bayrischen Landeskirche wie ja in ganz Deutschland der Rationalismus die Herrschaft errungen und gesichert hatte und das arme Volk in einem Bann hielt, sandte Gott Prediger voll heiligen Geistes und Kraft, welche gleich den alten Propheten Gottes Wort predigten mit Beweisung des Geistes und der Kraft. In meine eigene Heimat einen mit Namen Tretzel als Vorläufer und ihm nach Lohe. Tretzel war kurze Zeit auch in Roßtal Vikar. Er predigte gewaltig, er predigte den Ernst der 10 Gebote, Gericht, Hölle, Verdammnis. Solche Predigt wurde lange nicht mehr gehört. Es entstand in der Folge eine Bewegung, eine Erweckung nach zwei Seiten: Viele bekehrten sich von dem falschen Christus der Rationalisten zu dem wahren Christus, Gottes eingeborenem Sohn. Diese schlössen sich enger zusammen. Die anderen wurden ebenfalls aufgeschreckt, wollten die dargebotene Gnadenhand jedoch nicht ergreifen und versammelten sich desto entschlossener im Geist des Rationalismus, den Pharisäer und Schriftgelehrten gleich. Tue recht und schade niemand. Also zu verstehen, bleibe der du bist, fresse, saufe, hure, buhle, betrüge und lüge; nicht gar so auffallend, so daß du dir den Schein eines ehrlichen rechtschaffenen Bürgers bewahrst und frage nicht nach dem Prediger und seiner Predigt. Das wollte das „scheue niemand“ besagen. Solch freche Gesinnung fand es jedoch unbequem, daß ein Zeuge der Wahrheit vorhanden ist und daß eine Anzahl diesen hört und folgt. Daher trat eine Art Verfolgung ein. Diese trug dann bei, daß die gute Gesinnung wuchs und Gestalt annahm in sogenannten „Stunden“. Die Erweckten kamen in Häusern am Sonntagabend, zuweilen auch an Wochentagen, zusammen, beteten, lasen einen Abschnitt im Wort Gottes, unterredeten sich über denselben und pflegten so untereinander die unter ihnen angebrochene Heilung, durch Betrachten des Wortes Gottes und Erbauung.

So entstand eine Gemeinde in der Gemeinde, eine Art Verein. Aus der Gemeinde traten diese Leute nicht aus. Tretzel wurde versetzt und ebenfalls an anderen Orten zündeten seine Predigten und Gebetsstunden. Tretzel als junger feuriger Prediger vertrat die pietistische Richtung innerhalb der lutherischen Kirche, welche einseitig gesetzlich und deshalb krankhafter Art ist. Als Vorläufer einer neuen Zeit für die bayrische Kirche muß sein Name in Ehren gehalten werden.

Ihm folgte ein anderer Mann, Wilhelm Lohe. Lohe sandte Jesus in dieselbe Gegend, wo bereits Tretzel gewirkt hat. Lohe predigte den Glauben als echter Jünger Jesu, im Geist wie unser Vater Dr. Luther. Er sammelte die Erweckten im Lande zu Vereinen auf das lutherische Bekenntnis. Viele Pfarrer schlössen sich ihm an. Und aufgrund des Wortes, wie solches versteht, bekennt und lehrt die lutherische Kirche, fing an die bayrische Landeskirche, sich aus dem Rationalismus herauszuarbeiten und neu aufzubauen. Lohe wurde 1837 Pfarrer in Neuendettelsau. Dieser Ort wurde nun Sammelplatz derer, denen es um ihr eigenes Seelenheil und das Heil der lutherischen Kirche zu tun war. Von weit und breit kamen Männer und Frauen, Jünglinge und Jungfrauen, Gelehrte, Geistliche, Beamte, Kaufleute, Bauern und Handwerker nach Dettelsau, um einen oder mehrere Tage da zuzubringen. Die hohen Feste waren die Zeiten, wo der meiste Zusammenfluß stattfand. So hatte man wahrzunehmen, daß von Roßtal und Umgebung jeden Sonntag eine Pilgerschar nach Neuendettelsau sich begab. Roßtal ist 3 Stunden von Dettelsau. Man konnte die Reise an einem Tag machen, dem Vormittags- und Nachmittagsgottesdienst beiwohnen und mittags etliche Stunden mit Brüdern unterhalten. Die 3 Buttendorfer Freunde gehörten diesem Kreise an. Auch sie gingen von Zeit zu Zeit nach Dettelsau. Sobald ich mit den lieben Männern bekannt geworden, so wurde ich durch jene mit nach Dettelsau genommen und nach Roßtal zur Stunde ...

Als ich im 12. Jahr an der Ruhr erkrankt war, wurde ich von einem jungen Pfarrvikar besucht, welcher, als ich in der Genesung mich befand, eine Anzahl Missionsblätter zum Lesen gab. Diese und die ernste Krankheit legten ein Samenkorn in mein Herz, welches bis jetzt schlummernd ruhte. Dieses Körnlein hieß Mission. Als ich mit Dettelsau in Berührung kam, als ich die Missionsanstalt kennenlernte mit ihren Lehrern und Zöglingen, als letztere in Freundschaftsverhältnis zu mir traten, da fing das Körnlein in mir an sich zu rühren, zu keimen und zu wachsen. Ein Entschluß wurde mir: Selbst Missionar zu werden ...

Mit Vater und Mutter hatte ich mich in dieser Zeit nicht dahin ausgesprochen. Einem solchen Entschluß stand mir jedoch ein Hindernis im Wege, welches erst beseitigt zu werden hätte, auf irgendeine Weise, daß wäre die Militärpflicht. Die Entscheidung, ob ich Soldat zu werden hatte oder nicht, sollte erst das 21. resp. 22. Jahr bringen. So hieß es vorläufig abwarten ...

Ich sollte Soldat werden. Eine stille Hoffnung, daß ich frei werden möchte, trug ich in mir. Ein Darandenken, was für ein Glück es sein müsse, Missionszögling zu sein, erwachte immer wieder. Und so war mein innerer Zustand in diesen schönen Jahren bei aller Gottergebenheit zwischen Furcht und Hoffnung schwebend. Der Tag der Konskription kam her.

Unser Landgericht rief alle Söhne, die in 1835 geboren wurden, zur ärztlichen Untersuchung und zum Losen. Es war nämlich die Ordnung in Bayern damals die, daß ein jeder Knabe, der im Lande geboren, wenn er das 21. Jahr erreicht hat, verpflichtet sei, dem Staat als Soldat 6 Jahre zu dienen. Nun wuchsen viel mehr heran, als der Staat nötig hatte, daher wurde gelost und von Los l ab nahm man soviel als nötig. Körperlich gesund war ich. Darauf nun, daß ich als untauglich entlassen oder zurückgestellt werden dürfte, brauchte ich nicht zu hoffen. So blieb mir einzig das Los als Hoffnungsanker. Mit gar sehr erregtem Gemüt, zitternd und bebend griff ich in die Urne, hing ja doch meine nachherige Lebenslaufbahn davon ab. Ich zog 81, keine entscheidende Nummer...

Ich suchte in Erfahrung zu bringen, wie viele eigentlich das Landgericht zu stellen habe. Es hieß 55. Nun ist ja von 55 bis 80 eine ziemliche Strecke. Sollten denn so viele Krüppel unter den 80 sein, daß ich noch dranmüßte? Unmöglich! Mit solch rettenden Gedanken ging ich heim. Zu Hause war man in gleicher Spannung. Als ich das Resultat mitteilte, seufzte die Mutter. Der Vater tröstete und nahm an, wie ich, daß es eben nicht denkbar wäre, daß so viele Untaugliche vor meinem Los wären. Man beruhigte sich und wartete, was das Ergebnis 4 Monate später sein wird. Nämlich im November wurde gelost, im März darauf wurden die durchs Los bestimmten Jünglinge nochmals zusammengerufen, diesmal in der Kreishauptstadt. Man nannte das Rekrutierung ...

Nur militärfrei, dann ist alles gut! Als sie den Ausgang in Cadolzburg vernahmen, da ergriff sie eine Art Täuschung in der Erwartung meinethalben. Doch sie hofften noch das Beste für mich. Und mein Los wäre auch in Wirklichkeit eine Befreiung vom Militär gewesen, wenn die Ungerechtigkeit der Menschen, die sich doch Christenleute nennen lassen, die alle Segnung von der wahren christlichen Religion genießen, nicht soviel Unheil brächte. Reiche Bauern finden per Geld den Weg zu einem gewissenlosen geldgierigen Arzt. Der erklärt sich zu helfen. Andere wieder heucheln Krankheiten oder verkrüppeln sich. Und so kommt es, daß der ehrliche arme Jüngling, zuweilen der Sohn der Witwe, muß ungerechterweise, statt nach Recht des Reichen Sohn, Soldat werden. Jetzt ist es anders in Deutschland, Gott Lob! Jetzt muß jedermann Soldat werden. Der März 1857 kam heran. Ich wie die Eltern waren aufs äußerste gespannt, ob ich nach Ansbach werde vorgeladen werden. Es geschah nicht. Wie waren wir so froh. Ich teilte solche Freude meinen lieben Brüdern in Buttendorf und Roßtal mit, daß sie sich mit mir freuen möchten.

Da eines Tages. Ich saß im Webstuhl; die Mutter, aufmerksam gemacht durch den Hund, sah durchs Fenster, kommt ein Mann unserm Haus zu. Es war der Distriktsvorsteher. Was mag der wollen, sprach die Mutter voll Schrecken, der Vater, vielleicht will er unseren Ochsen beschauen. Guten Morgen! Da stand der Mann in der Stube. Ich bemerkte sofort, daß er unruhig und aufgeregt war, was mir einen Schrecken verursachte, der mich außer Fassung brachte. Nach etlichen landläufigen Redensarten hob er an: Johann ich bringe dir eine traurige Nachricht: Dein Sohn muß sich sofort stellen. Morgen hat er in Ansbach zu sein. Diese Worte wirkten wie ein Blitzschlag. Der Schulze sprach noch einige tröstende Worte, dann entfernte er sich. Ich faßte mich zuerst. Vater, heute ist es doch zu spät, wenn ich morgen früh um 2 Uhr weggehe, bin ich zur rechten Zeit im Markgräflichen Schloß zu Ansbach, denkst nicht auch so? Der Vater: Ja, aber ich gehe mit; vielleicht gelingt es mir, dich freizukriegen, wenn nicht, doch dich nach Nürnberg in Garnison zu bringen. Am anderen Morgen gingen wir dahin, wir hatten 5 Stunden zu gehen. Zur selben Zeit pflegten die Leute zu Fuße zu gehen und es fiel niemand beschwerlich. In diesem Lande sind die Leute so einer Bequemlichkeit verfallen, daß keiner mehr nur die geringste Entfernung glaubt zu Fuß gehen zu können.

Als wir ankamen, hatten wir noch eine Stunde Zeit, bis die Sitzung im Schloß ihren Anfang nahm. Da trafen wir eine Menge Menschen in der Stadt. Mir war diese ein fremder Ort, ich kam das erste Mal hierher. Doch wirkte die Umgebung sehr beruhigend auf mein Gemüt. Da gab es eine Anzahl Soldaten zu sehen, Reiter, lauter schöne junge Männer voll Jugend und Lebenslust, desgleichen die Menge von Rekruten, es waren ihrer von 5 Landgerichten zusammen, höhere und niedere Offiziere in ihren Uniformen, mir ein neuer Anblick.

An selbigem Tage kam mein Name noch nicht dran. Die Eingereihten durchzogen singend die Straßen, kauften sich sofort eine Militärmütze und schwammen in Wonn - worüber? Ja, man muß doch annehmen, daß sie durch gesunde Glieder dürfen dem Staate dienen zu Schutz und Abwehr. Und tiefer gesehen muß es jedem jungen Mann eine Hebung seiner Seele sein, wenn er gewürdigt ist, das ist, wenn er die gesunden Leibes- und Seelenkräfte besitzt, sein Vaterland bewachen, beschützen und verteidigen zu helfen. Und sollte ihm die Wehrpflicht keine Last, sondern eine Lust sein!

Am anderen Tag, gleich Vormittag wird mein Name aufgerufen. Ich trat vor zu der Kommission. Diese Kommission bestand aus einer Anzahl höherer Offiziere. Einer dieser Männer erklärte mir, daß ich als Füßelier in das 15. Infanterie-Regiment König Johanns von Sachsen eingereiht wäre.

Mein Vater an meiner Seite machte sogleich den Versuch, mich in das 14. Regiment, welches in Nürnberg garnisierte, zu bringen. Es half nichts, denn die Gründe wurden als nicht stichhaltig erklärt. So war ich Soldat.

Nachmittags hatten alle Eingereihten im Schloßsaal zu erscheinen, wo ihnen der Fahneneid abgenommen wurde. - Wir konnten jetzt nach Hause gehen. Noch kaufte ich mir eine Soldatenkappe und mit dieser Kopfbedeckung wurde noch selbigen Tages die Reise nach Hause zurückgelegt. Alle Zaghaftigkeit war dahin. Daß es Gottes Wille also ist, dies hielt ich fest und daß es kein so großes Unglück für einen jungen Mann, Soldat zu sein, sein kann, glaubte ich in Ansbach gelernt zu haben.“

Aus dem von Frau Dagmar Juritz, Saarbrücken, freundlicherweise in Ablichtung überlassenem eigenhändigen Lebenslauf (288 Seiten) des Michael Reck ausgewählt und zusammengestellt.




Alfred Steinheimer

Die Museumsecke: Licht und Leuchten

Die Bequemlichkeit unserer Tage, der schnelle Griff zum Lichtschalter, läßt uns allzuleicht vergessen, welcher Aufwand erforderlich war und wie gewaltig der Schritt ist vom Lagerfeuer als Stätte des Lichtes und der Geborgenheit bis zur Beleuchtungstechnik heute. Bis zur Entdeckung neuer Lichtquellen im 19. Jahrhundert konnte der Mensch nur mit Hilfe des Kienspans, der Fackel, der Öllampe und der Kerze die Dunkelheit erhellen. Über Jahrtausende waren die der Beleuchtung dienenden Gerätschaften zwar dem Zeitgeschmack unterworfen, in ihren funktionellen Eigenschaften jedoch unverändert. Erst mit der Entwicklung des Leuchtgases und der Herstellung und Nutzbarmachung des elektrischen Stromes wurden neue Wege beschritten, die vor allem eine bequemere Bedienung und eine wesentlich höhere Lichtausbeute brachten.

Als Anfang des 19. Jahrhunderts mit der Straßenbeleuchtung durch Gas begonnen wurde, also eine Ablösung der bislang mit Öl betriebenen Laternen geschah, fand dies nicht die ungeteilte Zustimmung aller Zeitgenossen. Wirtschaftliche und medizinische Gründe, ja selbst theologische wurden angeführt gegen diese Neuerung; aber der Fortschritt war nicht aufzuhalten.

Es sind knapp 100 Jahre vergangen, als am 7. Juni 1882 in Nürnberg die erste Straßenbeleuchtungsanlage, bestehend aus drei elektrischen Bogenlampen, aufgestellt am Josephsplatz, in der Kaiserstraße und in der Adlerstraße, eingeschaltet wurde. Die Helligkeit dieser drei Lampen wurde von den Zeitgenossen so gerühmt, so daß insgesamt 27 Gaslampen auf diesen Straßenabschnitten nicht mehr für notwendig erachtet und abgebaut wurden. Dies läßt immerhin den Schluß zu, welch dürftige Lichtverhältnisse vor der Einschaltung genannter Bogenlampen bestanden haben.

Wie sah es in diesem Punkt auf dem Lande aus? Von der Entwicklung der Gasbeleuchtung Mitte des 19. Jahrhunderts durch Verwendung von Leuchtgas, entstehend bei der Verkokung der Kohle, war der ländliche Bereich ausgeschlossen. Gaslicht war auf den Bereich der Städte beschränkt, die finanziell stark genug waren, ein Gaswerk, meist die ersten städtischen Unternehmungen, einzurichten und zu betreiben. Wer auf dem Lande nach Eintritt der Dunkelheit das Haus verlassen mußte, war schon angesichts der unbefestigten Straßen und Wege auf das Mitführen einer Laterne angewiesen.

In Roßtal wurde nach Rohn1 erst im Jahre 1926 ein Teil des inneren Ortsbereiches mit einem Straßenpflaster versehen; zu einer Ortsbeleuchtung entschloß sich der Marktgemeinderat allerdings schon im Jahre 19042. Von der Stadt Windsheim kaufte man 15 Laternen und stellte diese, wie ein Photo aus dieser Zeit auch beweist, auf. Die Stadt Windsheim, die offensichtlich den Prozeß der Elektrifizierung bereits um diese Zeit begann oder vielleicht sogar schon abgeschlossen hatte, trennte sich von diesen Beleuchtungsgeräten, von denen man heute nicht mehr weiß, ob sie dort als Gaslaternen fungierten. In Roßtal müssen sie jedenfalls mit Kerzen oder Petroleum betrieben worden sein, Gas stand ja nicht zur Verfügung. Recht wirkungsvoll war die ganze Angelegenheit offenbar nicht, wie ein aus dieser Zeit stammender Spottvers des Roßtaler Bürgers Jakob Silberhorn, vorgetragen anläßlich eines Fastnachtsballes, erkennen läßt: „...schön windstill hat's halt sein müssen, dann brennens fein.“

Im Jahre 1910 begann auch in Roßtal der Anschluß an das elektrische Versorgungsnetz, und am 24. Januar 19113 brannte zum ersten Mal elektrisches Licht in unserer Gemeinde. Es muß angenommen werden, das sich die Umstellung eine ganze Weile hinzog, denn nach Rohn4 heißt es: „1925 wurde in der ganzen Kirche das elektrische Licht eingerichtet, das am 24. Dezember abends eingeschaltet wurde.“

Heute, sechzig Jahre später, besitzt die Marktgemeinde ein gut ausgebautes Straßennetz mit einem ebenso guten Straßenbeleuchtungssystem, wobei rund 40 km Straßen mit 806 Leuchten ausgestattet sind, die bei Eintritt der Dämmerung selbsttätig in Betrieb gehen5. Eine Sonderbeleuchtung erhielt der Marktplatz in Roßtal, der mit seinen alten Kandelabern nachempfundenen Lampenträgern ein stimmungsvolles Bild abgibt.

Von der Straßenbeleuchtung zurück zum häuslichen Bereich, in dem auf dem Lande bis zur Einführung der Petroleumlampe und später des elektrischen Stromes nur Kienspan und Kerze als Beleuchtungsmittel bekannt waren.

Vor kurzem bot sich die Gelegenheit, für das Museum einen Kienspanhalter zu erwerben. Wie das Bild zeigt, wurde in dem vom Schmied gefertigten Halter ein Kienspan - harziges Kiefernholz - eingespannt und angezündet. Unruhig flackernd und rußig war diese Lichtquelle, und man kann es sich kaum vorstellen, daß man bei dieser Beleuchtung auch noch arbeiten konnte. Für die Herstellung der Kienspäne gab es sogar Hobel, die mit dem Krafteinsatz von drei Männern bedient werden mußten, um einen Span entsprechender Stärke von einem Brett abzutrennen.

Die Kerze, aus reinem Bienenwachs gefertigt, die im kirchlichen Bereich etwa um 380 n. Chr. weitgehend die Öllampe ablöste, war als Beleuchtungsmittel nur den Begüterten vorbehalten. Das einfache Volk verwendete die Talg- oder Unschlittkerze, bis etwa um 1835 die Stearinkerze aufkam, die billiger als die Bienenwachskerze war, aber länger, heller und geruchsfreier als die aus Talg gefertigten Kerzen brannte. Auch die Form der Kerzenträger, der Leuchter, ist, obwohl ein reines Zweckgerät, dem Zeitgeschmack unterworfen. Unser Museum bietet einige Anschauungsobjekte aus dem 19. Jahrhundert. Das Gaslicht, das etwa um 1850 entwickelt wurde und im Laufe der Zeit immer mehr Verbesserungen erfuhr, so daß es auf dem Sektor Straßenbeleuchtung bis weit in das 20. Jahrhundert hinein Verwendung fand, hatte, wie schon eingangs erwähnt, aus technischen und wirtschaftlichen Gründen auf dem Lande keine Bedeutung.

Anders jedoch die Petroleumlampe, die etwa um das Jahr 1860 von Amerika nach Europa kam und bald auch in den bäuerlichen Wohnstätten Verwendung fand und dies über Jahrzehnte hinweg bis zur Einführung der elektrischen Beleuchtung.

Ihr Betrieb war einfach: In einem Behälter mit Petroleum gefüllt war ein Docht eingetaucht, der sich vollsaugte und in einer oberhalb des Behälters angebrachten Halterung geführt wurde, was gleichzeitig einen Abschluß zum Brennstoffbehälter darstellte. Der Docht wurde mit einem Streichholz entzündet. Die Höhe des Dochtes war verstellbar und damit die Helligkeit der Lampe, wenn auch in Maßen zu regulieren. Zum Schütze der Flamme war ein oben offener Glaszylinder über den brennenden Docht gestellt. Da der Betrieb, besonders wenn der Docht sehr lang war, nicht völlig rußfrei vor sich ging, mußten die Glaszylinder täglich gereinigt werden. Auch war vorsorglich ein Ersatzglas bereitzuhalten, weil dieses der ständigen Belastung durch die offene Flamme nur eine Zeitlang widerstehen konnte. Den Brennstoff verkaufte der Krämer; Petroleum war ein Artikel des täglichen Bedarfs wie die Lebensmittel.

Daß mit all den aufgezählten Beleuchtungsmitteln, Herdfeuer, Kienspan, Öllampe, Kerze und Petroleumlampe, keine den ganzen Raum erhellende Beleuchtungsstärke zu erreichen war, versteht sich von selbst. Die erzeugte „Lichtmenge“ beschränkte sich auf einen kleinen Kreis, der durch das umgebende Dunkel und Halbdunkel des Raumes, seiner Bedeutung nach, einer Insel gleichkam. Das Herdfeuer und das Licht zwangen die Menschen zur Gemeinschaft, die „Lichtinsel“ war der Platz des Hauses, der in der Dunkelheit alle Bewohner vereint sah.

Lange hat es gedauert, bis die moderne Beleuchtungstechnik sich im Wohnbereich diese Erkenntnis zunutze machte und von der gleichmäßigen Helligkeit im Raum wieder abging. Niemandem würde es heute einfallen, über einer Sitzgruppe eine Leuchtstofflampe mit ihrer hohen Lichtausbeute anzubringen, ihr ist ein anderer Verwendungszweck vorbehalten. Es ist die Glühlampe hier am Platze, die mit ihrem warmen Licht vielleicht noch etwas erahnen läßt vom Feuer, von der Geborgenheit.

Literatur:

1, 4Rohn, Adolf: Heimatbuch von Roßtal und Umgebung, Roßtal 1928
2, 3Kreutzer H./Düthorn R.: ROSSTAL Vergangenheit und Gegenwart, Roßtal 1978
Rebske, Ernst: Lampen, Laternen, Leuchten, Stuttgart 1962
5Nach freundlicher Auskunft von Herrn Weiß, Fränkisches Überlandwerk, Bezirksstelle in Ammerndorf

Bildnachweis

Holzschnitt von Hans Weidnitz 1533: Lesen im Bett bei Kerzenlicht
Kienspanhobel aus dem Heimatmuseum Bad Brückenau
Übrige Bilder vom Verfasser