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Alfred Steinheimer

„… wohl empfindlich mit Ruthen gestrichen und auf den Rücken gebrandmarket …“

Sollten wir mit wenigen Worten das 18. Jahrhundert beschreiben, dann fiele uns die Baukunst des ausgehenden Barocks, die Zeit des Rokoko, das ausgeprägte höfische Leben, die Philosophen und die Namen großer Musiker und Komponisten ein. Seltener schon wird uns gewahr, daß am Ende des Säkulums die große Französische Revolution von 1789 mit den Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit stand. Das 18. Jahrhundert hat sich in unserer Vorstellung als ein liebenswertes, galantes Jahrhundert festgesetzt, bestärkt vielleicht auch durch die zeitgenössischen Dichter wie Jung-Stilling aber auch Goethe in „Dichtung und Wahrheit“, die das Bild fröhlichen zufriedenen Lebens auf dem Lande zeigen.

Doch wie so häufig, gibt es auch hier eine Kehrseite; die zahlreichen militärischen Auseinandersetzungen, die sich in dieser Zeit auf deutschem Boden abspielten, Franken blieb davon nicht verschont, führten zu einer Verarmung der unteren Volksschichten, so daß die Rückseite dieser glänzenden Rokokofassade ein recht düsteres Bild dieses Jahrhunderts aufzeigt.

Eva König, die Frau eines Hamburger Seidenhändlers und nach dessen Tod mit Gotthold Ephraim Lessing verheiratet, weiß von einer Reise nach Süddeutschland im Jahre 1770 zu erzählen, daß sie an einer Postkutschenstation von achtzig Bettlern umringt war und in München ganze Familien hinter ihr hergelaufen seien, rufend, daß man sie doch nicht verhungern lassen könne.1)

Die krassen sozialen Unterschiede förderten die Eigentumsdelikte, ja Raub und Überfälle, und hier in Franken, wie auch in den anderen Landstrichen, zogen Bettler, entlassene invalide Soldaten, Deserteure und Vagabunden, teilweise in Banden organisiert, in Scharen über das Land. Sie verbreiteten Angst und Schrecken unter der ziemlich schutzlosen Bevölkerung auf dem Lande, auch bei denen, die oft nur wenig mehr hatten als diese Übeltäter.

Die Obrigkeit, oft unverhältnismäßig in ihren Mitteln, versuchte gewaltsam durchzugreifen. In einem Bamberger Mandat vom 28. Juli 1749 wurde bestimmt, daß auf einem Einbruchsdiebstahl mit einer Beute über 7 1/2 Gulden und auf einfachem Diebstahl mit einer solchen von 18 Gulden die Todesstrafe stünde. Daß Diebstähle oft aus bitterster Armut geschahen, zeigt der Fall eines 1764 in Windsbach Hingerichteten. Der Wert seiner Beute betrug nur einige Kreuzer „... ein paar Mahlzeiten Erdbirn, ein paar Hunde, die er erschlug und aus Hunger verzehrte, ein paar Töpfe mit Milch.2)

Im Bezirk des Rentamtes Burghausen/Obb. sind z. B. von 1728 - 1770 gegen 1100 Verbrecher durch den Galgen, das Schwert oder das Rad hingerichtet worden. Selten verging ein Tag, wie der Chronist berichtet, an dem nicht eine Hinrichtung stattfand und man gewöhnte sich so allgemein daran, daß beim Läuten der „Armensünderglocke“ jedermann seinen Geschäften nachging.3)

Karl Heinrich Ritter von Lang (1728 - 1835) schreibt in seinen Memoiren, daß in seiner Kindheit, die er in der Nördlinger Gegend verbrachte, ganze Rotten von Bettlerfamilien über das Land zogen "... vor allen Fenstern hatten wir eiserne Gitter und Quersbalken vor Thüren und Läden".

Selbst Kinder scheinen nicht sicher gewesen zu sein. Lang erinnert sich, daß seine Spaziergänge ohne mannhafte Begleitung nicht weit über die Dorfflur hinausgingen "... sie hätten sonst nicht sowohl meine kleine Habe als mich selbst gestohlen, denn sie standen in großem Verdacht, daß sie gesunde und wohlgebildete Kinder für entferntere andere Banden oder als Überseeische Handelswaare entführten. Meiner Mutter selbst ist wenigstens auch einer meiner jüngeren Brüder plötzlich und auf immer entkommen, nicht ohne Argwohn, daß er unter den Händen dieser fürchterlichen Menschen zu Grunde gegangen".4)

Da selbst Städte nicht sicher waren, wollte schon 1702 der Bamberger Fürstbischof Lothar Franz von Schönborn, der Bauherr des Schlosses in Pommersfelden, die offene Stadt Bamberg mit einem Palisadenzaun zum Schütze gegen das "herrenlose gesindel" umgeben.5)

Im Jahre 1771 wandte sich Carl Alexander, der letzte Ansbacher Markgraf, in seiner Not an den Kaiser, weil er innerhalb des "Fränkischen Kreises", das war einer durch die Reichskreisordnung von 1512 geschaffener Kreis, der die Hochstifte Bamberg, Würzburg, Eichstätt und die Fürstentümer Ansbach und Bayreuth, das Hochmeistertum Mergentheim und fünf Städte, darunter Nürnberg umfaßte, keine Zustimmung zu seinem Vorschlag fand. Sein Plan war, daß man das aufgegriffene "Gesindel" entweder nach Ungarn, Rußland oder in die Preußischen Staaten transportieren möge, wo es noch deren unbewohnte Gegenden gibt. Noch im Jahre 1790 wird erwogen, daß der "Fränkische Kreis" mit England und Rußland einen Vertrag schließen solle, um die Vagabundierenden auf Botany-Bay, eine von James Cook im April 1770 entdeckte südostaustralische Bucht oder in die entvölkerten Steppen Rußlands abzuschieben.5.2)

Erstaunlich ist, daß Franken in den zeitgenössischen Veröffentlichungen als eine der glücklichsten Provinzen Deutschlands geschildert wird. Einer dieser Autoren, Otto von Münchhausen, der Verfasser eines mehrbändigen Werkes über die Aufgaben des "Hausvaters", schreibt 1769 seine Reiseeindrücke aus der Sicht des landwirtschafttreibenden Gutsherren nieder:

"Ich befinde mich in einer Gegend im Itzgrund (nördl. von Bamberg) welche, wenn sie nicht unter die schönsten in Deutschland gehört, dennoch gewiß eine der fruchtbarsten ist. Der Ackerbau und der Fleiß der Einwohner scheint dort auf das äußerste getrieben zu seyn". Der Verfasser hat sich aber auch Gedanken über die Lebensweise der dort tätigen Knechte und Mägde gemacht. Er berichtet weiter, daß diese von 4 Uhr früh bis mittags 12 und nachmittags von 1 Uhr bis 7 Uhr, also 14 Stunden lang täglich arbeiten und nun wörtlich weiter: "... dabey gar geringe Kost nämlich zweimal in der Woche ein Pfund frisch oder 1/2 Pfund geräuchert oder gepeckeltes Fleisch und die übrige Zeit Mehlsuppen ... erhalten, nebst der Erlaubnis soviel Wasser zu trinken wie sie wollen"6)

Mag die letzte Bemerkung auch ironisch gemeint sein, trotz dieser für Landarbeiter offenbar damals sehr bescheidenen und ärmlichen Lebensweise gehörten diese Taglöhner, Knechte und Mägde noch zu den Glücklichen. Ein Krankheitsfall oder gar die Invalidität bedeuteten Verdienst- und Verpflegungsausfall und nicht selten den sozialen Abstieg in das Heer der Bettler. Daß bei dieser, für uns heute nicht mehr vorstellbaren Einstellung der arbeitgebenden Schicht eine Gefahr für die Besitzenden erwachsen mußte, ist leicht zu verstehen.

So sind auch bei uns in Roßtal sowie in der näheren Umgebung aus dieser Zeit Gewaltakte bekannt, die wohl wegen der Schwere des Verbrechens Aufsehen erregten, aktenkundig wurden und uns davon Zeugnis geben.

Am 15. Februar 1700, an einem Donnerstag, abends um 7.00 Uhr, wird zwischen Bonhof und Gottmannsdorf die von Schwäbisch-Hall nach Nürnberg kehrende Post überfallen. Dem Postknecht Leonhard Fuchs wird sein Felleisen (Reisesack) mit einer ansehnlichen Summe Geldes abgenommen, ihm selber, geschieht, was schon verwunderlich war, kein Schaden.8.1)

Interessant ist der Bericht, den der "Postreuter", wie die Posthalter damals genannt wurden, Johann Caspar Schmid von Schwäbisch-Hall der markgräflicher Hofkanzlei nach Ansbach meldet: (Wortlaut und Schreibweise unverändert)

Durchlauchtigster Fürst, gnädigster Fürst und Herr, Euer hochfürstl. Durchlaucht
Zeug hiermit unterthänigst an, welcher gestalten mein Knecht von zweyen Straßenräubern unterwegs nach Nürnberg zwischen Bonhoff und Gottmannsdorf donnerstag abendts gegen 7 Uhr angegriffen und dann ohnfehr bey tausend Thaler an Geld abgenommen worden, weßwegen auff bekommener Nachricht mich nachher Heilsbronn und anhero begeben.
Wann nun einiger Verdacht auff gewießen Persohnen welchen sonderlich zu Bruckberg Waßer und Waid verbotten worden, davon ein Bruder wegen anderer Verbrechens allschon zu Langenzenn in Verhafft führen solle, sich hervor thun will. Der Herr Verwalter Bachmann aber welcher unstreitig sich bißhero eifrig erwiesen anstehen dürffte sothanes Gesindel ohne hochfürstl. Befehl zu inhaftieren.
Weß ergeht an Ew. Hochfürstl. Durchlaucht mein unterthänigstes Bitten Sie geruhen die gnädigste Verordnung an Herrn Verwalter zu Heilßbronn dahin ergehen zu laßen daß derselbe diejenigen Persohnen ohne Verzug auff welche sich einiger Verdacht hervorthut zur Administrierung der Justiz von Herrschafts wegen in Arrest und gefängliche Verhafftung zu bringen und selbige biß sie sich genügsam legitimieret darinnen behalten sollen.

Es folgt die Schlußformel und die Unterschrift des „Postreuters“

Der Bericht zeigt, daß auf den einfachen Verdacht des Postknechts hin der markgräfliche Verwalter Bachmann der Klosterverwaltung Heilsbronn nichts unternehmen wollte. Sicher haben Ansässige in Bonhof oder Gottmannsdorf, die dem überfallenen Postknecht helfen wollten, ihn auf diese lagernde Gruppe in Bruckberg aufmerksam gemacht, wie sonst hätte er von den verdächtigen Fremden dort wissen können. Bei der Höhe des Schadens und erschwerend, daß der Überfall auf eine mit kaiserlichen Privilegien ausgestattete Posteinrichtung verübt wurde, kommt nicht der Zweifel auf, ob der Verwalter die mit dem Fall entstehenden Arbeiten zur Untersuchung und Nachforschung scheute. Dies mag jedoch nicht selten der Fall gewesen sein, wenn, wie in der nachstehenden Verordnung des Markgrafen noch Jahre später, bei Strafandrohung die Verwaltung an ihre Pflichterfüllung erinnert werden muß.

Die in der Meldung des „Postreuters Johann Caspar Schmid“ genannten Personen, denen in Bruckberg Wasser und Waid verboten, also keine Aufenthaltsgenehmigung erteilt wurde, sind wahrscheinlich Landfahrer gewesen. Schmid scheint von den Verdächtigungen selber nicht recht überzeugt zu sein, denn er bittet nur um die Festnahme der Gruppe, bis sie sich ausgewiesen habe.

Die markgräfliche Hofkanzlei arbeitet schnell; einen Tag später, am 16. Februar 1700, erhält der Verwalter zu Heilsbronn, Georg Samuel Bachmann, von Ansbach den Befehl, tätig zu werden und die Hofratskanzlei erwartet baldigen Bericht. Um einen Steckbrief anfertigen zu können, soll der Postknecht noch „mehrere Spezialia von denselben (den Räubern) Kleidung und Haaren“ angeben.

Für die meist auf dem Lande tätigen Banden bestand kaum die Gefahr, ergriffen zu werden, zudem waren die Ziele ihrer Überfälle meist abseits liegende Bauernhöfe und häufig Mühlen.

Am 31. Juli 1715 überfiel eine Rotte von acht Männern und einer Frau den Weiler Neuhöflein, zwischen Bruckberg und Betzendorf gelegen, und drang in das Haus des Christoph Diez. Da der Weiler in gemeinschaftlicher Verwaltung von Heilsbronn und dem Richteramt Roßtal stand, berichtet der näher am Tatort amtierende Heilsbronner Verwalter seinem Roßtaler Amtskollegen, den er mit „Hochverehrter Herr Nachbar und Vetter“ anspricht.8.2)

Sein Bericht liest sich heute noch spannend und aus den Aussagen des überfallenen Bauern kann man die ausgestandene Angst nachempfinden.

Die Bande war wohl bewaffnet und Christoph Diez wurde, so im Bericht „mörderisch angefallen, gebunden, dann mit aufgezogenen Hähnen“, d. h. mit gespannten Pistolen und der Drohung, ihn tot zu schießen, genötigt „... daß er ihnen den Schlüssel zu einer Truhen geben und noch dazu ein in der Wand vergrabenes Geld, so bei 300 Thalern gewesen“. Das Opfer berichtet dann weiter, daß die Bande „... ihn hernach gleichwohl totschießen wollen, da er dann gebetet sich darein ergeben sie ihn aber nur ausgelacht bis endlich seine Nachbarn ihm zu Hilf kommen und nachdem sie (die Bande) bei 3/4 Stunde verharret, die Retirad (Rückzug) genommen“.

Aus den weiteren Zeilen des Heilsbronner Berichterstatters ist die Machtlosigkeit der Verwaltung zu ersehen. Er schreibt und es klingt resignierend: "... daß dergleichen Mördertaten öfters in dieser Gegend passieren" und schildert den Fall, daß erst wenige Wochen vorher ein Hirt auf dem Felde von einer Gruppe genötigt wurde, den reichsten Bauern im Weiler Thierbach bei Beutellohe (in der Nähe von Kleinhabersdorf) zu nennen, worauf der Bauer, als er dies erfuhr „... dem Vernehmen nach sich aus Angst und Furcht die Gurgel abgeschnitten“.

Die im Roßtaler Raum ihr Unwesen treibende „mörderische Diebsrotte“ habe sich, so im Bericht, nach dem Überfall gegen Triebendorf und Schwaighausen gewandt. Diez, der Geschädigte, hat in seiner Angst niemand erkannt, obwohl einer der Täter ihm sagte, daß er vor Jahren „... bei ihm als Soldat im Quartier gelegen und wohl wisse, daß Diez Geld habe“. Einen wichtigen Hinweis vermerkt der Heilsbronner Verwalter in seinem Bericht und hofft, daß damit den Tätern auf die Spur zu kommen sei: Das geraubte Geld war alt und „ungewöhnlich“, denn es bestand aus kaiserlicher, schwedischer und brandenburgischer Währung.

Daß die Suche nach den Tätern nicht immer erfolglos blieb, zeigt die Notiz des Roßtaler Pfarrers Johann Heinrich Schülin, die er einem Eintrag ins Sterberegister anfügt:

Am 22. März 1726 verstarb Christian Leonhard Sitzmann, vormaligem Hutmann zu Oberbüchleins Eheweib, ist vor 3 Jahren von einer verruchten Diebsband aus Zigeunern und anderen dergleichen bösen Brüdern bestehend in der Nacht mit Einhauung der Haustür nebst ihrem Mann mörderlich überfallen und ausgeplündert worden. Von welcher Bande etliche zu Mannheim attrapiert (gefaßt) und exequiret (verhört) worden, welche die Tat gestanden, da deswegen ein Bericht an hiesiges hochlöbliches Richteramt eingelaufen.9)

Wie schon eingangs erwähnt, war die Obrigkeit nicht in der Lage, diesem Treiben nachhaltig ein Ende zu setzen. Da Verordnungen, Verbote und Ausweisungen nicht zum gewünschten Erfolg führten, waren die Strafen selbst für den einfachen Diebstahl oft unverhältnismäßig hoch. Straßenraub wurde im 18. Jahrhundert teilweise noch mit dem Rädern bestraft, Diebe gebrandmarkt und oft konnte ein Missetäter kurz vor der Strafvollstreckung dieser nur dadurch entgehen, daß er sich als Soldat anwerben ließ. Dies geschah freilich nicht selten mit dem Hintergedanken, sich bei nächstbietender Gelegenheit, dann mit neuer Montur, vielleicht einem Pferd und mit Waffen versehen, wieder aus dem Staube zu machen.

Unter den Aufgegriffenen, die nicht ansässig und deshalb nach der damaligen Rechtsauffassung "herrenlos" waren, werden immer wieder Deserteure genannt. Wegen ihrer Uniform, die sie trugen, meist dem einzigen Kleidungsstück, das sie besaßen, hatten sie es besonders schwer unterzutauchen. Verschärfend war dabei, daß, übergreifend über die Herrschaftsbereiche, Verordnungen bestanden und für die Wiederergreifung und Auslieferung Geldprämien ausgesetzt waren. Selbst im eigenen Dorf konnte der oft zum Militärdienst herangezogene oder leichtsinnig das Handgeld genommene Bursche keine Hilfe erwarten, weil jeglicher Beistand der Bevölkerung mit strengen Strafen belegt war. Im August 1792, nach Abdankung des letzten Markgrafen und als damit auch die fränkischen Fürstentümer Ansbach und Bayreuth an das Königreich Preußen fielen, wurde von Minister Hardenberg, der die fränkischen Gebiete verwaltete, an eine preußische Verordnung von 1788 die "Deserteurs betreffend" erinnert.10) Im Jahre 1802 wollte der genannte Minister gegen die Erben der Deserteure in den fränkischen Fürstentümern vorgehen, die 1777 an England verkauft und gegen die amerikanischen Truppen im Unabhängigkeitskrieg eingesetzt waren. Von den 2 500 Ansbacher Soldaten waren 700 desertiert oder wählten nach dem Ende der Kampfhandlungen Amerika zur neuen Heimat, kehrten also nicht nach Ansbach zurück.5.3)

So blieb den hier die Fahne verlassenden Soldaten und überall gejagten und steckbrieflich Verfolgten nur die Möglichkeit, sich einer Bande anzuschließen, um sich dort, unter "Gleichgesinnten", wenigstens einigermaßen sicher fühlen zu können.

In den Kirchengemeinden wurde schon immer für die Armen gesorgt. Die Obrigkeiten machten dies den Gemeinden auch zur Pflicht, sich so dieser leidigen Aufgabe entziehend. In der Schar der bettelnden Müßiggänger und Vagabunden, die oft drohend und fordernd auftraten, konnten sich die wirklich Bedürftigen kaum Gehör verschaffen; überdies war das ohnehin geringe Aufkommen an Almosen, wo sollte es auch bei der allgemein geringen Wirtschaftskraft auf dem Lande herkommen, rasch aufgebraucht. Um das Mitleid zu rühren, kamen trickreiche Gauner auf den Gedanken, mit gefälschten Dokumenten für die Wiedererrichtung abgebrannter Kirchen oder Lösegeld für in türkische Gefangenschaft geratene Priester, Mönche oder christlicher Kaufleute zu sammeln. In einem Erlass vom 16. April 173611) hat die markgräfliche Verwaltung sich an die Dekanate und Pfarreien gewandt und auf diese Missbräuche aufmerksam gemacht, weil damit den „wahrhaft Dürftigen“ geschadet wird. Dieser Verordnung war ein Auszug aus dem "Poenal-Patent" (Strafordnung) und zwar der § IX beigefügt. Demnach sollte „... jeder ausländische Bettler innerhalb von zwey Monaten sich aus den Creyslanden fortmachen oder gewärtig seyn daß sie, wann es zumalen starke und gesunde Leute seynd, das erstemal nach wohlabgemessener Abwägung 14 Tage lang zu schwerer Arbeit in Zucht- und Werkhäusern angehalten und hernach durch den Stadt- oder Landknecht gegen Abschwörung einer Urfehd aus dem Creys verwiesen. Das zweytemal da sie sich wiederum betretten lassen, als muthwillige Frevler und Meyneidige wohl empfindlich mit Ruthen gestrichen und auf den Rücken gebrandmarket oder wo nur immer Gelegenheit vorhanden. Worauf jede Herrschaft mit allem Ernst von selbsten und umso mehr bedach seyn wird, als dergleichen justiziert und gebrandmarktes Gesindel hernach meistens nur formale Räuber und Diebe abgebet, lieber auf etliche Jahr zur harten Arbeit in Zucht- und Werkhäusern bey Wasser und Brot oder zum Schanzen in den Vestungsbau condemniert (verurteilt). Das dritte mal aber, es seyen gleich Manns- oder Weibspersonen wann sie auch keine weitere Übeltat begangen als offenbar Verächter dieser heilsamen Poenal-Verordnung im Falle der Mannsbilder nicht etwan irgendwo füglich und ohne sondere Kosten auf Galeeren unterzubringen wären, gar mit der Todesstraf angesehen werden sollen“.

Im Oktober 175912) wurde das „Armen-Arbeitshaus und Zuchthaus“ in Schwabach fertiggestellt und die Ämter angewiesen, „Bettler und Gesindel“, sofern sie nicht schnellstens die Markgrafschaft Ansbach verlassen, zu arretieren und dort einzuliefern.

Es gab auch andere Möglichkeiten, sich der aufgegriffenen gesunden männlichen Bettler und Herumtreiber zu erwehren. In dem Truppenkontigent, das der Markgraf Carl Alexander im Jahre 1777 an den König von England verkaufte, waren auch Zuchthäusler von Schwabach und St. Georgen/Bayreuth zwangsweise eingegliedert worden. Unter den schon erwähnten 700 Deserteuren und Nichtrückkehrwilligen befanden sich allerdings wenige dieser Außenseiter; diese wurde die Truppe nicht los und sie kehrten am Ende der Kampfhandlungen nun als freie Menschen wieder nach Europa zurück.

Die Mehrzahl der in Amerika verbliebenen Soldaten waren durch das Losverfahren eingezogene Bauern- und Handwerkersöhne, aber auch manche Freiwillige, die in der Weite der „Neuen Welt“ eine Chance sahen, die ihnen in ihrer fränkischen Heimat nicht geboten werden konnte5.5-7)

Die zu Schwerarbeit in den Zuchthäusern der Markgrafschaft Ansbach verurteilten Kriminellen und Bettler wurden zum Bau von Straßen- und Gartenanlagen eingesetzt, auch die Hafenanlage in Marktsteft am Main wurde z. B durch Strafgefangene erbaut.

Erst im 19. Jahrhundert kam es zu einer Besserung der Zustände. Es mögen die Gründe hierfür vielfältig sein; wesentlich dazu beigetragen haben sicher die Auflösung der in Franken besonders zahlreichen Herrschaftsbereiche und die Organisation einer zentralen Verwaltung, die eine Registrierung der Einwohner, die Numerierung der Häuser und ein flächendeckendes Polizeiwesen brachte. Die vorher kaum behinderte Tätigkeit krimineller Elemente wurde damit wesentlich erschwert.

Literatur:

1)Will u. Ariel Durant: „Kulturgeschichte der Menschheit“ Band 31, S. 26
2)E. Schubert: „Arme Leute, Bettler und Gauner in Franken des 18. Jhrhdt.“ S. 256, Verl. Degener u. Co. Neustadt/Aisch 1983
3)Schreiber: „Geschichte Bayerns“ Band II, S. 162 Verl. Herder, Freiburg, 1891
4)Karl Heinrich Ritter von Lang: „Memoiren“ S. 32/33 Faksimile der Ausgabe von 1842/Palm u. Enke, Erlangen 1984
5.1)E. Schubert: Titel wie (2) S. 6
5.2)ebenda, S. 323
6)Otto v. Münchhausen: „Der Hausvater“ Band IV S.90/Hannover 1769 (5,3) (5,4) E.Schubert: Titel wie (2) S. 148
7)Erhard Städler: „Die Ansbach-Bayreuther Truppen im Amerik. Unabh.-Krieg 1777 - 1783“ (Kap. 8)

Quellen:

8.1)Staatsarchiv Nürnberg, KLVA Heilsbronn, Tom 16/S.31 u. folg.
8.2)dto., Tom 19/S.272 u. folg.
9)Sterberegister der Evang.-Luth. Pfarrei Roßtal
10)Archiv der Evang.-Luth. Pfarrei Roßtal: hier: Edikt des preuß.Königs vom S.Jan. 1788 und von Hardenberg für die Fürstentümer Ansbach und Bayreuth am 3. Aug.1792 erlassen.
11)hier: Markgräfliche Verordnung über die Austeilung von Almosen für Kirchenbrand und anderen Collectanten v. 16. April 1736
12)hier: Markgräfliche Verordnung vom 3. Okt. 1759 das Zuchthaus in Schwabach betreffend.

Dieter Koerber

Die Roßtaler Marienfigur kehrt zurück

 
Wer öfters das Germanische Nationalmuseum besucht, weiß es schon lange: Dort hängt im Lapidarium eine steinerne Maria mit dem Christuskind, die einmal ihren Platz in der Roßtaler St. Laurentiuskirche gehabt hatte. Die wertvolle Figur wurde zusammen mit einem hölzernen Schreinaltar mit der Messe des Heiligen Gregor (vermutlich aus der Werkstatt des Veit Stoß), 1879 an das Museum verkauft. Nach dem Verkauf gab es in der Gemeinde Gerede und Ärger und die Kirchenverwaltung (der 1. Pfarrer und 4 Kirchenpfleger) mußten sich rechtfertigen, nachdem ein Kirchenpfleger, der an dem Beschluß nicht beteiligt gewesen war, sich beschwert hatte.

Die Rechtfertigungsschrift des Pfarrers und der Kirchenpfleger wirft ein bezeichnendes Licht auf den damaligen Umgang mit nicht mehr benötigten und geschätzten Altertümern:

„… in der hiesigen Krypta, einem unterirdischen feuchten Raum, waren früher nach Aussage älterer hiesiger Männer, viele Alterthümer, z. B. Apostelbilder, solche von heiligen Frauen, ein Cruzifixus, wurden aber daraus entfernt, vielleicht gestohlen und verkauft. Die jetzige Verwaltung konnte bisher noch nicht herausbringen, wohin sie gekommen seien. In den früheren Stiftungsrechnungen findet sich darüber keine Einnahme; vielleicht wird darüber noch Licht verbreitet.

Solange die jetzige Kirchenverwaltung ihr Amt verwaltet, waren in der Krypta nur nachfolgende Gegenstände:

  1. ein uralter Altarkasten mit fast unkenntlichen, unwerthen Bildern
  2. ein Marienbild mit dem Jesuskind aus Stein
  3. eine hölzerne männliche Figur, ohne Werth und Bedeutung
  4. ein Weihkessel aus Sandstein
  5. ein Lesepult

Nun war zu befürchten, daß diese noch vorhandenen Gegenstände, auch wie die oben erwähnten, heimlich entfernt oder von den Besuchern der Krypta als unwichtige Dinge gar ruiniert werden könnten.
Der aus Holz bestehende Altarkasten war schon vermodert, verfault und zerbrochen und seine Bilder fast unkenntlich. Das Marienbild war mitten entzwei gebrochen und der Kopf vom Jesuskinde war nach der erst jetzt gemachten Aussage des Sohnes des Meßnergehilfen, welcher Fremde in die Krypta führen sollte, als 'Andenken' mitgenommen worden.
Der Kopf der Holzfigur hatte zwei lange breite Risse, der Weihkessel war in zwei Stücke zerbrochen und seine Ränder überall bedeutend beschädigt.
Ein anderer zur Aufbewahrung passender Raum ist hier nicht zu finden und in die hiesige schöne Kirche können sie nicht gestellt werden, ohne ihrer Schönheit zu schaden. Auch können sie hier überhaupt nicht mehr benutzt werden.
In Erwägung all dieser Angaben, sowie des Umstandes, daß eine Orgelschuld von 300 Fl. (Gulden) zu verzinsen ist, konnte man eine Anfrage des Direktoriums des Germ. Museums vom 29. Jan. Curr. (dieses laufenden Jahres) ob nicht und unter welchen Bedingungen die fraglichen Alterthümer dem germ. Museum überlassen werden wollten, nicht abschlägig zurückweisen, sondern erklärte sich nach wiederholter, reiflicher Überlegung und völliger Übereinstimmung der gehorsamen (erg: Unterzeichneten), daß man dieselben dem Museum für 100 Mark überlassen wollen, nachdem sie von einem Nürnberger Bildhauer, der sie auch gerne erworben hätte, taxiert waren, welcher aber als höchsten Preis weniger bot.“

Über die weiteren Gegenstände entschied das Museum im Sept. 1879:

„Auf die werthe Zuschrift vom 23. d. M. beehren wir uns zu erwidern, daß das von dort übernommen Bild (Wohl die männliche Holzfigur) und der Weihkessel vollständig werthlos sind und wir nicht gewillt sind, irgendeinen Betrag für diese Gegenstände auszugeben, und nichts dagegen zu erinnern haben, wenn die verehrte Kirchenstiftung dieselben wieder zurück haben will.“

Der hölzerne Schreinaltar, der offenbar in der Krypta aufgestellt war und dort den Brand von 1627 überstanden hat, zierte unsere Kirche als Leihgabe des Museums von der 1000-Jahr-Feier 1955 bis in die 60er Jahre. So schlimm, wie hier geschildert, kann sein Zustand doch nicht gewesen sein!

Nun soll die Marienfigur als Abguß wieder in ihre Roßtaler Kirche zurückkehren. Wir danken dem Germ. Nationalmuseum, daß sie das kostbare Original während des Martinimarktes im Rathaus ausstellen läßt und danach zu einem Abguß zur Verfügung stellt und freuen uns besonders daß ein hilfreicher Spender die nicht unerheblichen Kosten für Abguß und Podest übernehmen wird. Die Figur soll am Chorbogen rechts in der St. Laurentiuskirche angebracht werden. Am Sonntag, den 8. Dezember soll es so weit sein.


Robert Leyh

Die Roßtaler Muttergottes 1310–1320

Eines der bedeutendsten Kunstwerke der Roßtaler Laurentiuskirche ist die seit 1879 im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg befindliche Marienskulptur, die von einem unbekannten Meister im Zeitraum zwischen 1310 und 1320 geschaffen wurde. Sie besteht aus grauem Sandstein und mißt eine Höhe von 117 cm, eine Breite von 30,5 cm sowie eine Tiefe von 26 cm. Bestoßungen sind vor allem an der Nase der Mutter; der Kopf des Kindes ist verloren. Ursprünglich war der Mantel der Muttergottes rot mit Gold, Haar und Krone strahlen ebenso in einem goldenen Glanz.

Die von der Roßtaler Kirche an einen Nürnberger Meister in Auftrag gegebene Figur dürfte anhand ihrer geringen Maße als Konsol- oder Baldachinfigur im Langhaus oder an den Chorflanken gestanden haben.

Die Muttergottes hält in ihren Armen das lebhafte Kind, das spielerisch nach ihrer Krone greift. Das im Rahmen der mittelalterlichen Kunst so dominierende und majestätisch würdevoll gehaltene Thema der Krönung Mariens durch ihren Sohn wird vom Meister der Roßtaler Madonna in eine warme Mutter-Kind-Beziehung umgewandelt. Die tiefe Liebe der Mutter zu ihrem Sohn inkarniert sich am ehesten durch das gegenseitige Berühren der Herzen, verkündet aber zugleich durch die sich kreuzende Stellung der Arme vom Tod des Erlösers am Kreuz.

Das Antlitz der Muttergottes ist zart und von mädchenhafter Blüte; warm und voll sind Stirn- und Wangenpartien gezeichnet. Die mandelförmigen Augen - sie sind auf das Kind gerichtet - sprechen ebenso wie die neckischen Mundgrübchen eine gewisse Schalkhaftigkeit der kindlichen Mutter aus. Ein zarter, schulterlanger Schleier mit Bordüre umhüllt das Haupt Mariens, nur über der rechten Schläfe quillt lockiges Haar hervor.

Die Muttergottes trägt ein tunikaähnliches Kleid, darüber einen Mantel. Ihr Oberkörper ist aus der vorgegebenen Symmetrie in Richtung zum Kind herausgedreht. Eine organische Belebung innerhalb der Komposition wird vom Meister der Roßtaler Madonna durch die unterschiedliche Behandlung der Gewandfalten erzielt. Während sich über Brust und gewinkeltem Arm das Material straff und gezogen zeigt, sind die unteren Gewandpartien von plastischer Schwere. Eine Fülle von Gewandfalten, bestehend aus Längs- und Schüsselfalten, v-förmigen Konturen, Graten und Kaskaden lassen nur schwer die darunterbefindlichen Gliedmaßen erahnen.

Die Roßtaler Muttergottes zeugt noch heute von der einstigen Größe der Roßtaler Kirche. Stilgenetisch dürfte sie auf die Figuren des Gerichtstympanons an der Nürnberger Sebalduskirche zurückzuführen sein.

Literatur:

Josephi, Walter: Die Werke plastischer Kunst des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg 1910.
Martin, Kurt: Die Nürnberger Steinplastik im XIV. Jhdt., Berlin 1937, S. 27–28
Müller, Hannelore: Frauliche Plastik in der Zeit von 1300–1470. Phil. Diss. (maschinenschriftlich), Würzburg 1951
Stafski, Heinz: Die Bildwerke in Stein, Holz, Ton und Elfenbein bis um 1450, in: Katalog des GNM, die Mittelalterlichen Bildwerke. 1. Nürnberg 1965
Kahsnitz, Rainer: Muttergottes mit Kind, in: Nürnberg 1300–1450. Kunst der Gotik und Renaissance. München 1986.