
Die Roßtaler Orgel, restauriert 1973
Die Orgel – ein Blas-Instrument
Wenn man beim Kreuzworträtseln nach einem Blasinstrument gefragt wird, so ist da die richtige Antwort meist: Oboe, Trompete oder Posaune, aber kaum die Orgel, nicht wahr? Dennoch kann man dies nicht in Abrede stellen. Aber dazu später mehr davon. „Die Orgel ist doch in meinen Augen und Ohren die Königin aller Instrumente“. Dies sagt kein Geringerer als der große Wolfgang Amadeus Mozart. Johann Sebastian Bach wird häufig als Vollender des musikalischen Barocks bezeichnet. Mit Haydn und Mozart folgte musikgeschichtlich die Periode der Klassik.
Entdeckungs-Reise:
Uns geht es nun um die Frage, ob Roßtal seinerzeit auch eine Barockorgel besessen hat; gefragt hat dies vor einigen Jahren unser Kantor, Herr Michael Bauer; aber nicht nur allgemein nach einer Barockorgel sondern nach einer berühmten Wiegleb-Orgel. Es war die Zeit, in der wir uns regelmäßig zum Heimatvereins-Stammtisch in der altehrwürdigen Gaststätte »Zur Kanne« einfanden, zusammen mit dem Pfarrersehepaar Dieter und Sibylle Koerber. Von ihm kam damals die Auskunft, dass es in der Tat eine solche Orgel bei uns gab und auch gleich der Hinweis, dass er 1973 zur Einweihung unserer jetzigen Walcker-Orgel dazu einiges in das Festprogramm geschrieben habe. Dies wurde allerdings nie bestätigt, weil sich seither keiner dafür die nötige Zeit genommen hat. Das ließ mir aber keine Ruhe. So habe ich mir im Pfarramt den entsprechenden Schriftverkehr aus der damaligen Zeit heraussuchen lassen, fand aber dort lediglich den Ver-merk, dass die Walcker-Orgel nicht zum 1. Advent 1973 fertig geworden sei, an dem Oberkirchenrat Luther die Festpredigt gehalten hätte; aber am nun festgelegten 4. Advent konnte er nicht. So hat man den damaligen Fürther Dekan, Herrn Theodor Heckel, gewinnen können (den späteren Kreisdekan von Regensburg, – und als solcher dann auch Mitglied des Landeskirchenrates). Das veranlasste mich, im Dekanat nachzufragen, ob man dort u. U. noch so ein Programm dieses Festgottesdienstes abgeheftet hat.
Auch nichts. Schließlich wandte ich mich an das Landeskirchliche Archiv in Nürnberg. Dr. Daniel Schönwald bemühte sich sehr (auch nach Predigten von Dekan Heckel), konnte aber letztlich nicht weiterhelfen. Und in meinem ausführlichen Register zu den »Roßtaler Heimatblättern« wurde ich ebenso wenig fündig, gab es diese ja 1973 noch gar nicht.
Einen Durchbruch schafften wir neulich bei einem amikablen Mittagessen, als ich all mein vergebliches Bemühen der Sibylle vortrug und Bärbel Bauer meinte, wir sollten doch mal den früheren Kantor Wolfgang Schmidt fragen, der jetzt in Zirndorf lebt. Telefonisch gelang das nicht, aber über das dortige Pfarramt. Herr Schmidt (jetzt 86-jährig.) konnte sich noch gut an alles erinnern und wollte gleich in seinen Unterlagen nachsehen. Schon Stunden später bekam ich die tolle Nachricht, dass er dieses Festprogramm noch habe und mir gleich zusende.
Heureka:
Unbekleidet und laut „Heureka“ rufend soll (nach einer Anekdote, die Plutarch überlieferte) Archimedes durch die ganze Stadt gelaufen sein, nachdem er in der Badewanne das nach ihm benannte Archimedische Prinzip entdeckt hat. Und hier haben wir in der Tat einen enormen Fund gemacht, der nicht einmal in der Wiegleb-Werksliste im Internet stand. Bei dem Versuch, diese Versäumnis im Internet wieder gut zu machen, stieß ich auf den Studiendirektor aus Aschaffenburg, Hermann Fischer, der wohl die meisten Publikationen über die Wiegleb-Orgeln verfasst hat. Er weiß, dass die Werksliste leider nicht vollständig ist, hat aber darauf keinen Zugriff. Tage später hatte ich seine Festschrift in Händen:
Der Hof- und Land-Orgelmacher Johann Christoph Wiegleb
in: „Tradition und Geschichte in Frankens Mitte“
Nun möchte ich mich bei all den Genannten herzlich bedanken, weil sie so auskunftsbereit waren und mitgeholfen haben, dass wir am Ende doch fündig geworden sind. Nun kann auch das unseren Gästen bei den Kirchenführungen gesagt werden, dass hier einst eine Barockorgel des berühmten markgräflichen Orgelbauers Wiegleb stand.
Die Wiegleb-Orgel:
Eingebettet zwischen einer ersten Orgelerwähnung von 1680/81 und der später wieder benötigten Orgel von 1893 (Johann Strebel, Nbg.) und der klanglichen Neugestaltung letzterer durch Erich Bauer, Unterasbach, findet sich im Festprogramm von 1973 folgender Eintrag:
„1724/30 Neubau einer einmanualigen Orgel mit 12 Registern durch den Hof- u. Landorgelmacher Johann Christoph Wiegleb, Wilhermsdorf.“
Und in der Festschrift von Hermann Fischer ist unter den Werken von Wiegleb zu lesen:
„Roßtal:
1741: vor einigen Jahren ganz neu aufgerichtet,
1869: durch eingedrungenes Wasser beschädigt.
Bittner fand danach folgende Disposition vor:
Manual:
Principal 8´, Octav 4´, Quint 3´, Superoctav 2´,
Mixtur 1´ dreifach, Grobgedackt 8´, Viola da Gamba 8´,
Kleingedackt 4´, Spitzflöte 2´,
Pedal:
Subbaß 16´, Violonbaß 16´, Octavbaß 8´.Über die Prospektform ist nichts bekannt; denn 1893 stellte Strebel, Nürnberg, eine neue Orgel auf unter Verwendung von fünf alten Registern aus der Wiegleb-Orgel mit einem neuen gotischen Prospekt, den Architekt Theodor Eyrich entwarf. Seit 1973 steht hier eine neue Orgel von Walcker mit modernem Gehäuseprospekt.“
Über die o. a. Festschrift kann man auch erfahren, dass der Stammvater der Orgelbauer-Sippe Wiegleb ein Johann Hieronymus (1664 bis um 1723) in der Nähe von Erfurt war. Er heiratete eine fränkische Adelige aus dem Geschlecht von und zu Heldritt. Wir finden Spuren seiner Arbeiten im Raum Coburg. Vier seiner Söhne traten in die Fußstapfen des Vaters und wurden ebenfalls Orgelbauer. Einer davon ist unser Johann Christoph (1690–1749), der später in die Markgrafschaft Ansbach zog und sich in Wilhermsdorf niederließ. Seine Anregungen aus dem thüringischen Orgelbau brachte er unverkennbar ins Fränkische mit ein.
Zudem war die Wahl von Wilhermsdorf für ihn von Vorteil, weil es im Schnittpunkt von zwei Markgraftümern lag und weil sich der ritterschaftliche Ort der direkten Herrschaft der Markgrafen entzog. Wiegleb konnte dadurch leicht neues Gelände erobern, vor allem hinüber ins Hohenlohische.
Und weil wir natürlich nicht wissen, wie genau unsere damalige Roßtaler Orgel ausgesehen hat, sehen wir uns hier in der Abbildung ein Werk von Wiegleb an, das er 1732 vollenden konnte: in der Stiftskirche zu Oehringen (Hohenlohe).
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Orgel-Prospekt-Zeichnung von Schillinger für Stiftskirche Oehringen, Hohenlohe-Zentral-Archiv, Neuenstein, Plansammlung IV/152) |
Diese Orgel ist 30 Schuh hoch und 27 breit und habe 1.700 Pfeifen, sowohl zinnerne als hölzerne. Die größte Pfeife messe 10 ½ Schuh in der Länge.
Wiegleb importierte diesen thüringisch bestimmten Baustil, den auch seine Brüder und Neffen in der Kurpfalz und am Obermain etablierten, und verband ihn mit dem protestantisch-fränkischen Lokalkolorit.
Die Orgel-Einweihung
der jetzigen Orgel der Firma Walcker aus Ludwigsburg fand also am 23. Dezember 1973 statt. Sie konnte somit vor ein paar Monaten ihr 40. Jubiläum feiern.
Dekan Theodorf Heckel nahm die Weihehandlung vor und hielt auch die Predigt. Ob bei dem ehemaligen U-Boot-Matrosen seine »U-Hai« wieder einmal in der Predigt vorkam (was man ihm öfter nachsagte), ist eher unwahrscheinlich; jedoch kann das jeder selber nachkontrollieren, weil Herr Rektor i. R. Kantor Wolfgang Schmidt noch eine Tonband-Aufzeichnung davon besitzt (Tel. 0911 604764).
Vielleicht findet sich jemand, der dieses Tonband auf eine CD brennt. KMD Walther Haffner (Wunsiedel) führte die neue Orgel vor.
Mitwirkende waren außerdem:
1. Trompete: Bernhard Schreier
2. Trompete: Helmut Rührlinger
3. Trompete: Joachim Kreie
außerdem der Posaunenchor Roßtal
der Kirchenchor Burgfarrnbach
der Kirchenchor Roßtal
das Ansbacher Kammer-Orchester (Leitung: Rolf Handik)
Kleine Orgel-Kunde:
Auf der letzten Seite des Festprogramms zur Orgelweihe hat Pfarrer Koerber einiges Interessante und Amüsante zum Orgelwesen ganz allgemein zusammengeschrieben, wohl aus der Feder von Kirchenmusikdirektor Haffner (= W.H.).
Hier einige Auszüge daraus, kurz zusammengefaßt:
Die Orgel ist gewissermaßen ein Blasinstrument, – ob sie nun eine pneumatische oder eine mechanische Spieltraktur besitzt. Die Älteren erinnern sich, wie sie in ihrer Jugendzeit nicht nur die Glockenseile gezogen, sondern auch den Blasbalg der Orgel getreten haben.
Man kann die Orgel in ihrem ganzen Aufbau wohl gut vergleichen mit dem Körper eines Menschen:
Kleid und Haut sind das Gehäuse, das in seinem Äußeren natürlich der Zeitmode unterworfen ist und sozusagen das Gesicht der Orgel darstellt.
Das Gehirn ist der Spieltisch mit Tastatur und den Registerzügen.
Die Lunge ist das Gebläse mit seinem Windmotor.
Der eigentliche Körper der Orgel sind die Windladen, auf denen die Pfeifen stehen.
Als Nervensystem kann man die Verbindung von den Tasten zu den Ventilen bezeichnen, die sog. Traktur.
Die Gliedmaßen sind die Pfeifen, die in Reihen zu Registern zusammengestellt sind.
Herz und Seele sollte und kann nur d e r sein, der die Orgel spielt, der den gesamten „Körper“ lebendig werden und in all seinem Klangreichtum aufklingen lässt; wahrlich eine Herzensangelegenheit! Verständlich, dass die Orgel im wahrsten Sinne mit zu den Lobopfern einer Gemeinde gehört (W. H.).
Roßtal, in den Iden des März 2014
Nikolaus W. Fischer, Pfr. i. R.