
Roßtaler bei der Kartoffelernte im Krieg bei Familie Zucker
„… als Kind hatte man keine Zeit für Spielereien“
Ein Zeitzeugen-Interview mit Luise Handschuch
Einleitung
Luise Handschuch ist Jahrgang 1928 und lebt schon immer in Roßtal. In ihrer frühen Kindheit wohnte sie im Haus der Großeltern in der Felsenstraße und ab 1934 mit ihren Eltern im Buttendorfer Weg. Diese hatten dort neu gebaut. Weil das Haus damals am Ortsrand stand, gab es keinen Anschluss an Wasser und Strom. Sowohl die Großeltern wie die Eltern betrieben jeweils eine kleine Nebenerwerbslandwirtschaft. Nach dem Krieg, seit 1947, war Luise Handschuch bei der Bayern Werk AG in Nürnberg beruflich tätig, später dann Hausfrau und Mutter von drei Kindern.
Frau Handschuch erzählt über die Zeit ihrer Kindheit und Jugend von den mittleren 30er bis in die frühen 50er Jahre. Gegenstand sind vor allem die Lebensverhältnisse, die der landwirtschaftliche Betrieb der Eltern mit sich brachte. In Roßtal (und natürlich nicht nur hier) war die Nebenerwerbslandwirtschaft eine sehr verbreitete Erwerbsform. Das änderte sich erst mit der Industrialisierung der Landwirtschaft seit den 1960er Jahren. Dann verschwanden nach und nach die zahlreichen Kleinbetriebe. Frau Handschuch erzählt somit von Lebensverhältnissen, die es so nicht mehr gibt, jedenfalls nicht in Deutschland. Außerdem berichtet sie von den besonderen Umständen der Kriegs- und frühen Nachkriegszeit, als Roßtal einen demografischen Umbruch erlebte; und sie erinnert zuletzt an drei Lehrkräfte der Roßtaler Schule, die sie besonders geprägt haben.
Das Interview wurde am 13. Juni 2016 im Roßtaler Heimatmuseum geführt und aufgezeichnet. Interviewer war Siegfried Münchenbach. Die Aussagen von Frau Handschuch wurden transkribiert und für die Druckfassung bearbeitet; so wurden einige Kürzungen vorgenommen und Details ergänzt, wo Unklarheiten bestanden haben. Der Duktus des gesprochenen Wortes ist nicht verändert worden.
Noch ein Wort zu Zielsetzung und Methode von Zeitzeugen-Interviews: Wichtig ist, dass Zeitzeugen darüber sprechen, was sie selbst erlebt und vielleicht erlitten haben. Ihr Gegenstand ist nicht die Geschichte im Allgemeinen. Es soll von persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen erzählt werden, von früheren Lebensumständen oder Arbeitsweisen. Frau Handschuch macht dies in vorbildlicher Weise. Erinnerungen von Zeitzeugen sind notwendigerweise subjektiv und unvollständig. Sie erheben nicht den Anspruch, die ganze geschichtliche Wahrheit darzustellen, es geht immer nur um einen Ausschnitt. Das ist aber kein Mangel. Der Vorzug besteht darin, dass ein authentisches und lebendiges Bild der Vergangenheit entstehen kann, welches eine eher generalisierende und abstrahierende Geschichtsbetrachtung zu ergänzen und zu korrigieren vermag.
Da es bei einem Zeitzeugengespräch darum geht, persönliche Erlebnisse und Erfahrungen ans Licht zu bringen, erfordert dies eine dem Ziel angemessene Befragungstechnik. Ein Zeitzeugen-Interview ist kein Verhör. Auch mit einem üblichen Zeitungsinterview hat es wenig zu tun. Das Ziel ist nicht eine knappe Antwort auf eine möglichst präzis gestellte Frage, sondern eine Erzählung des Zeitzeugen. Das bedeutet, dass der Interviewer eine größtmögliche Zurückhaltung an den Tag legen sollte. Er tritt vor allem als Stichwortgeber auf, der den assoziativen Gedankenfluss des lnterviewpartners nur dann unterbricht, wenn dieser zu weit vom Thema abweicht.
Der Heimatverein Roßtal hat in den letzten beiden Jahren mehrere Zeitzeugen-Interviews durchgeführt. Die Aufzeichnungen sind zunächst einmal Archivmaterial. Aber es geht auch darum, diese Erfahrungen und dieses Wissen über die Vergangenheit Roßtals zugänglich zu machen, damit sie in ein kollektives Gedächtnis Eingang finden. Von Søren Kierkegaard stammt der Satz, dass zwar vorwärts gelebt wird, das Leben sich aber nur rückwärts verstehen lässt. Das gilt nicht nur für ein Individuum, sondern auch für eine Gemeinschaft. Der Blick zurück kann das Bewusstsein dafür schärfen, wo wir stehen und was wir wollen oder vermeiden sollten.
Das Interview
Frau Handschuch, Sie sind in einer Familie aufgewachsen, die im Nebenerwerb Landwirtschaft betrieben hat. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?
Diese Zeit war geprägt von Arbeit und vom Sparen, ja, und als Kind hatte man keine Zeit für Spielerei. Man musste mithelfen, man war eingerechnet in den Ablauf des Tages. Wenn ich von der Schule kam, dann lag der Zettel schon da, auf dem stand beispielsweise, dass ich das Fuhrwerk einspannen und nachkommen soll auf den Acker, weil die Mutter schon draußen war und gearbeitet hat. Das war einfach so.
„… das kann man gar nicht mehr erfassen, was meine Mutter geleistet hat.“
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Frau Handschuch beim Interview, 13. Juni 2016 |
Welche Arbeiten gab es dann zu verrichten und wie muss man sich die Betriebsgrößen vorstellen?
Bei Nebenerwerbslandwirten gab es eigentlich nur kleine Anwesen, bis drei Hektar groß, und mit einer solchen Fläche konnte man nur bis zu drei Kühe halten, weil das Futter sonst nicht gereicht hätte.
Die Kühe waren in erster Linie Zugtiere und in zweiter Linie Milchvieh. Aber dadurch, dass sie für anstrengende Spanndienste verwendet wurden, haben sie wenig Milch gegeben. Somit waren die Einkommen aus dem Verkauf der Milch nicht groß, und deshalb war man auf den Feldertrag an Getreide angewiesen. Das wurde dann verkauft, aber nur teilweise, denn gleichzeitig musste man damit auch die ganze Jahresversorgung an Mehl für die Familie abdecken.
Deshalb war man drauf aus, dass möglichst viel Fläche für den Nutzbau zur Verfügung stand. Und man musste versuchen, das Vieh noch nebenbei zu ernähren, dazu wurden die Feldraine genutzt. Die Feldraine waren früher die Grenzzeile zwischen den kleinen Grundstücken, ungefähr einen halben Meter breit. Und was an Gras dort wuchs, das hat man mit kleinen Sicheln abgeschnitten (bei uns nannte man das Grasstumpf, warum das so hieß, weiß ich nicht). Diese Feldraine abzugrasen, das war eine Arbeit der Frauen. Und da gab es diese Krauttücher. Das muss man sich so vorstellen: Das waren viereckige Tücher, in der Regel aus einem groben Leinen, und an jeder Ecke war ein Strick angenäht, so dass man das Tuch zusammenbinden konnte. Auf dieses Tuch hat man das Gras, den Schnitt, gelegt, und damit hat man das Gras rausgetragen aus diesen schmalen Feldrainen. Denn in der Regel waren ja beidseits Korn- oder Weizenäcker oder was auch immer.
Dann hat man einen Schubkarren gehabt, mit dem man das Gras heimbringen konnte. Ein Schubkarren, das war ein Holzfahrzeug – heute sind das ja Blechkästen, die kein großes Eigengewicht haben. Aber damals waren die Schubkarren aus Holz. Sie waren so geformt, dass die Tragfläche eben war, und über dem Rad waren sie gewölbt, das sah wie eine Art Buckel aus. Auf jeden Fall war die Schubkarre ziemlich schwer. So gab es noch einen richtigen Gurt aus Hanf, den man sich umhängen konnte. Er war in die Handgriffe eingehakt, damit man die Last auch mit auf den Schultern hat tragen können. Nachdem man die Schubkarre mit dem Gras beladen hatte, ist dieses Krauttuch über das Eck darüber gespannt worden: An der vorderen Querlatte war in der Mitte ein Eisenring, da hat man ein Ende festgebunden, das andere am Holm über dem Rad. Auch die seitlichen Enden sind festgebunden worden. Damit war die Ladung gesichert. So sind die Frauen dann heimgefahren. Und ich muss sagen, das war eine schwere Arbeit, noch dazu in Roßtal, wo viele Berge sind. Also das war schon mühsam.
Die Frauen haben damals sehr, sehr viel leisten müssen. Denn in der Regel waren ja die Männer als Hilfsarbeiter, Maurer oder sonst in irgendwelchen Berufssparten tätig und sind erst abends, nach Feierabend, dazu gekommen in der Landwirtschaft mitzuhelfen. Dann haben sie oft die Schwerstarbeiten verrichtet, was die Frauen nicht gekonnt haben. Aber das Pflügen zum Beispiel war eine sehr schwere Arbeit und ist trotzdem von Frauen gemacht worden. Das war sehr anstrengend, denn nach jedem Furchen musste der Pflug ja gewendet werden, und den musste man anheben und irgendeinen Drücker betätigen, damit diese Pflugschar sich gewendet hat. Und das Auf- und Ablaufen den ganzen halben Tag, das kann man heute gar nicht mehr erfassen, was meine Mutter geleistet hat.
„… alle hatten ihre Misthaufen vor der Türe“
Sie haben gesagt, dass in einem Nebenerwerbsbetrieb drei Kühe die Regel waren. Wie muss man sich diese Viehhaltung vorstellen? Wie sah die Stallhaltung im Detail aus?
Nun, es war so: Früher gab es nur Anbindestellen, es gab nichts anderes, und die Kühe sind da angebunden gewesen. Man hat viel Einstreu gebraucht. Denn der Mist war ja Dünger, das war ein Kreislauf. Wenn ich an die Ställe denke, dann hab' ich die alte Felsenstraße vor Augen; das war so: Wenn man von oben kommt, war links die katholische Kapelle und rechts die Metzgerei. Auf der linken Seite gab es kaum Bebauung, nur der eine oder andere Schuppen war da oder etwas Größeres, eine Scheune. Rechts dagegen waren bis hinunter zur Kurve sechs landwirtschaftliche Anwesen, eines neben dem anderen, und sie hatten alle ihre Misthaufen vor der Türe gehabt. Der Stall war häufig hinten in den Felsenbuck1 hinein geschlagen worden. Das war eine Aushöhlung. Und wenn man die Kühe nach draußen bringen wollte, dann mussten sie in manchen Anwesen durch den Hausflur geführt werden.
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Die obere Felsenstraße, Datierung unklar, vielleicht 1930er/40er Jahre, |
Die Einstreu – oder kurz Strei wie wir gesagt haben – bestand aus Stroh vom Getreide. Es war wichtig, weil man ja den Mist gebraucht hat; es war aber auch ein Problem. Denn man brauchte das Stroh hauptsächlich als Viehfutter im Winter. Das Kornstroh wurde zu diesem Zweck auf ganz kurze Stückchen gehäckselt und mit Rübenschnitzel vermengt. Die Rüben als Winterfutter wurden ebenfalls gehäckselt. Dadurch war also die Stroheinstreu ein knappes Gut. Deshalb haben wir aus den Wäldern das Moos rausgeholt. Dafür gab es eine besondere Hacke, die hieß Haue. Der Begriff steckt auch in der Bezeichnung für die Tätigkeit: Wir gehen streihauen, hieß das hier im Ort. Das haben aber oft die Männer gemacht, an Samstagen oder wenn sie einmal frei gehabt haben. Das gab es nämlich auch, dass die Männer sich von der Arbeit freigenommen haben, um zu Hause zu arbeiten. Vor allem in der Heuernte oder in der Haupternte haben sie das gemacht. Die Männer haben also dieses Moos und auch Nadel von Kiefern oder Fichten aus dem Wald geholt. Das diente dann als Einstreu.
Es gab aber noch andere Möglichkeiten, das habe ich auch erlebt. Zum Beispiel bei der Firma Faber in Stein oder in Nürnberg bei der Bleistiftfabrik Lyra waren Abfälle zu bekommen. Bleiweißstreu hieß das. Das waren die Anspitzspäne von den Stiften. Die hat man sich dort geholt und als Einstreu verwendet. Dazu hat man aber wieder ein Fahrzeug gebraucht, und da hat man halt einen größeren Bauern, der ein Pferdefuhrwerk gehabt hat, den Auftrag gegeben, er soll das fahren. Dafür musste man dem Bauern aber kein Geld bezahlen, sondern man hat das abgearbeitet, als Tagelöhner.
„… das war für die Kühe nicht einfach, auf diesen unebenen Straßen …“
Sie haben gesagt, dass die Heuernte so aufwendig war, dass sich oft die Männer, die Familienväter, freinehmen mussten, um diese Arbeit zu verrichten. Dass dies ein so großer Aufwand gewesen sein soll, kann man gar nicht mehr verstehen, weil ja der Einsatz von Maschinen heute eine Selbstverständlichkeit ist.
Ja, im Juni war die Heumahd. Ich weiß das von meinem Vater, der ist um halb drei in der Nacht aufgestanden und mit dem Fahrrad nach Buttendorf gefahren, weil da unsere Wiese war, ein Tagwerk. Er hat dort gemäht an einem Tag – mit der Sense, das war alles Handarbeit. Wir, die Frauen, sind mit den Fahrrädern am Morgen nachgefahren und haben ihm das Frühstück gebracht. Und das Gras, das frisch geschnittene, ist dann ausgebreitet worden auf der ganzen Wiese. Wenn das Wetter gepasst hat, war es in drei Tagen soweit, dass man es aufrechen, aufladen und heimfahren konnte. Natürlich musste in diesen drei Tagen das Gras mehrmals gewendet werden, damit es gut trocknen konnte.
Heu heimfahren – das klingt so einfach, aber da muss man auch sagen, dass das damals ja keine Asphaltstraßen waren, sondern der Belag war einfach Staub und Kies, eben Schotterstraßen. Das war für die Kühe nicht einfach, auf diesen unebenen Straßen zu laufen. Von Roßtal nach Buttendorf und wieder heim ist unter diesen Umständen ja kein kurzer Weg, und auf dem Rückweg hatten die Kühe ein schweres Fuhrwerk zu ziehen.
Manche hatten ja noch einen weiteren Weg als wir. Das weiß ich von meinem Großvater, da war die Wiese in Ammerndorf, an der Bibert, und der Weg war ungefähr doppelt so weit. Man kann sich das gar nicht mehr vorstellen, aber die Kühe haben das alles geschafft oder schaffen müssen.
Auch der Mensch war geplagt. An die Hitze kann ich mich gut erinnern, das war kein Vergnügen. Ein Trost war nur, dass in drei Tagen alles geschafft war. Aber nicht immer ist das so glatt abgelaufen. Ich muss da etwas ausholen:
Es gab extra einen Heuwagen. Der normale Wagen hieß Mistwagen, der hatte Seitenteile aus Brettern und war hinten und vorne geschlossen. Der Laderaum war also eine Art große Wanne. Mit dem konnte man alles transportieren, ob es Kartoffeln waren, Rüben oder Futter usw., aber für das Heu wurden diese Teile ausgetauscht gegen Holzgestelle, die so ähnlich wie Leitern aussahen. Die waren etwa einen dreiviertel Meter hoch und sind zu beiden Seiten am Wagen so befestigt worden, dass sie schräg nach außen und nach oben abstanden. So hat man die Ladefläche verbreitert. Außerdem gab es hinten und vorne Stützen. So sah ein Heuwagen aus. Damit alles zusammenhielt, musste das Heu geschichtet werden. Es war wichtig, dass das sorgfältig geschah, weil das Fuhrwerk bei der Heimfahrt sonst leicht aus dem Gleichgewicht kommen konnte. Die Männer sind oben gestanden auf dem Wagen und auf dem Heu und haben geschichtet. Manchmal haben es auch Frauen gemacht, aber bei uns war es der Vater. Die Mutter hat diese Büschel machen und mit der Heugabel raufstechen müssen. Der Vater hat dann das Heu geschichtet. Ich habe das Heu zusammenrechen müssen, damit man es aufladen konnte. Und zum Schluss ging es um den Heubaum, und zwar war das ein Stamm, ungefähr einen Meter länger als das Fuhrwerk. Der musste rauf gehievt werden und lag dann der Länge nach ganz oben auf dem Heu. Hinten und vorne wurde er mit Seilen runtergespannt und an diesen Seitenteilen festgemacht. Dann gab es noch Winden, jeweils hinten und vorne, mit so Schäufele, wie man gesagt hat, das waren Holzstangen, die vorne ein bisschen abgeflacht waren, damit man sie in die Öffnungen der Winde einführen konnte. Dann musste man an der Winde drehen, damit die Spannung da war und das ganze zusammengehalten hat. Denn jetzt ging es darum, die Fuhre heil nach Hause zu bringen.
Und dann ist es halt manchmal passiert, dass die Fuhre umgefallen ist, vielleicht weil man auf dem engen Weg einem anderen Fahrzeug ausweichen musste oder weil man doch nicht optimal geladen hatte. Das war schlimm, denn man konnte den vollbeladenen Wagen nicht mehr aufheben. Es musste also alles abgeladen werden, und alles lag auf der Straße und am Straßenrand. Das war nochmals eine große Schinderei. Aber es ist passiert. Das war also die Heuernte.
„… die kleinen Leute, die mussten das Mähen noch mit der Sense machen …“
Die Getreideernte haben Sie als „Haupternte“ bezeichnet. Ich vermute also, dass diese mit noch mehr Arbeit verbunden war.
Ja, das stimmt wohl. Die Getreideernte kam im Sommer. Das war für uns sehr schwere Arbeit. Denn nur die Bauern, die Pferde und mehrere Tagwerk gehabt haben, konnten sich schon in den 30er Jahren einen sogenannten Binder oder Mäher kaufen. Diese Maschine hat das Getreide gemäht und in regelmäßigen Lagen abgelegt. Und die Leute brauchten es nur noch aufsammeln und zu Garben binden.
Aber die kleinen Leute, die mussten das noch mit der Sense machen. Mein Vater ging voraus mit der Sense und hat das Getreide gemäht. Die Sense hatte noch so einen Holzbogen, in den eine Art Fliegengitter gespannt war. Damit wurde erreicht, dass das abgeschnittene Getreide nicht kreuz und quer herumlag, sondern gleichmäßig an das noch stehende Getreide angelehnt wurde, an das der nächsten Zeile, die im nachfolgenden Durchgang gemäht werden sollte. Dieses Anlehnen hat den nächsten Arbeitsgang erleichtert. Die Mutter, die ging nämlich mit der Sichel dem Vater hinterher. Mit der Schneide der Sichel hat sie einen Arm voll Getreide aufgenommen, das sollte eine Garbe werden. Selbst als ich noch ein Kind war, musste ich schon die Garbenbänder machen. Das ging so: Ich habe eine Handvoll langes Stroh genommen und die Ähren, den oberen Teil also, unter die Achseln geklemmt. Das untere Ende des Strohs musste ich zusammendrehen. Dann hab' ich das kleine Bündel geteilt, bis hinunter wo es zusammengedreht war, und so aufgefaltet hab' ich es auf den Boden gelegt.
Die Mutter hat dann ihr großes Bündel darauf abgelegt. Wenn der Vater später durch war und eine Reihe gemäht hatte, ist er zurückgegangen und hat die Garben mit meinen Strohbändern zusammengebunden, d. h. er hat die losen Teile zusammengedreht und das Ende dann zwischen Band und Stroh eingeklemmt. Das waren Arbeitsgänge, die mussten ineinandergreifen. So musste ich auch als Bändermacherin sehr flink arbeiten, sonst geriet das Ganze ins Stocken. So ein Tagewerk Korn mit der Sense zu schneiden, zu sammeln und zu binden, das war schon eine große Plage.
Das Getreide war ja zu der Zeit beim Mähen noch unreif, denn wenn es reif gewesen wäre, wären die Körner durch den Sensenschwung ausgefallen. Deshalb blieb das Getreide zunächst auf dem Acker, zum Nachreifen. Ich hab' schon erzählt, wie das Korn zu Garben gebunden wurde. Im nächsten Arbeitsgang wurden immer neun Garben schräg zusammengestellt. Meine Aufgabe war, die Garbe in der Mitte hinzustellen und festzuhalten. Dann wurden außen vier Garben dran gelehnt, so stand das von selbst, und dann kamen in die Zwischenräume noch mal vier Garben. Das ganze Gebilde, also diese neun zusammengestellten Garben, hat man Kornbock genannt. Auf alten Bildern sieht man oft noch die abgeernteten Kornäcker mit diesen vielen Kornböcken. Das Getreide blieb auf dem Feld stehen, bis die Körner hart waren. Dann ist es eingefahren und in der Scheune aufgeschichtet worden. Es musste ja noch gedroschen werden, aber das geschah erst im Herbst.
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Luise Handschuch mit ihrem Sohn Manfred im Kinderwagen, links die sog. Kornböcke. |
Das war das Korn. Die Gerste ist auch mit der Sense gemäht worden. Zu Garben zusammenbinden, das konnte man nur beim Korn machen, weil das Stroh lange genug war. Die Gerste ist ja ein niedriges Gewächs, vielleicht kniehoch, um die 50 cm. Sie wurde also gemäht und nur in Reihen abgelegt. So blieb sie zunächst einmal liegen, bis sie dürr war und die Körner reif waren. Nun brauchte man einen heißen Tag, das war wichtig, damit die Gerste wirklich vollständig ausgetrocknet war. Dann wurde die Gerste von einem Erwachsenen mit der Sichel aufgenommen. Wir Kinder mussten das Zusammenbinden vorbereiten. Dafür gab es keine Strohbänder, sondern man verwendete bunte Stricke, die waren ungefähr einen Meter lang und in der Regel dunkelblau, damit man sie in den Stoppeln gut sehen konnte. Am vorderen Ende hatten sie einen kleinen Holzanker gehabt, so ein Gnätzla, und da war der Strick durchgefädelt und hinten mit einem Knoten befestigt. Diese Stricke wurden also ausgebreitet und drauf ist die Gerste abgelegt, die vorher mit der Sichel aufgenommen worden war. Dann konnte man ein Bündel umschlingen und mit Hilfe dieses Hölzchens festzurren. So ist das dann heimgefahren worden. Das hatte den Nachteil, dass beim Dreschen immer jemand oben auf der Dreschmaschine stehen musste, der diesen Holzknittel aufgemacht hat, weil die Stricke gesammelt worden sind, die hat man ja nicht weggeschmissen. Das hat natürlich Zeit gekostet, während beim Korndreschen zwar auch jemand oben auf der Dreschmaschine stehen musste, der hat aber mit einem scharfen Messer lediglich dieses Strohband durchgeschnitten. Das war beim Weizen so und bei anderen Kornarten, auch beim Hafer. Aber Hafer haben meist nur diejenigen angebaut, die Pferde gehabt haben. Manchmal hat man Hafer aber auch als Futter für die Kühe verwendet. Man hat den Hafer in die Mühle gefahren, und dann gab es Haferflocken oder Viehschrot.
„Das Dreschen war eine Sache für sich …“
Sie haben bereits mehrmals das Dreschen erwähnt. Hat man sich die Dreschmaschine gemietet oder wie ist das organisiert worden?
Ja, das Dreschen war wieder eine Sache für sich. In Roßtal gab es zwei Dreschmaschinen, und zwar schon mit Motorwagen, während es in Buttendorf noch die Dampfdreschmaschine mit einem Dampfer gegeben hat, der angeheizt werden musste. In Roßtal standen zwei Dreschmaschinen zur Verfügung. Es gab die Dreschgenossenschaft, an der viele beteiligt waren, so war es oft nicht einfach, zum Dreschen dran zu kommen. Denn die Bauern, die große Flächen hatten, die hatten nicht genügend Lagerplatz in ihren Scheunen. Deshalb waren sie drauf bedacht, möglichst bald zu dreschen, damit sie später noch einmal dran kommen konnten. Die kleineren Bauern mussten halt warten.
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Dreschen beim großelterlichen Anwesen in der Felsenstraße |
Gedroschen wurde immer im Herbst. Dazu brauchte man wieder Pferdefuhrwerke, um diese schwere Maschine zu fahren. Für den Kraftmotor gab es extra Stromanschlüsse, die waren irgendwo im Ort und es mussten Kabel gezogen werden.
Der Motor befand sich auf einem Kastenwagen. Dann gab es die Dreschmaschine und davor die Presse. Die Dreschmaschine hat ja nur das Getreide ausgedroschen; das Stroh hat dann eine extra Maschine gepresst, das war die Strohpresse.
Das war für mich immer eine beeindruckende Sache. Oben kommt das Stroh mit den Ähren in die Maschine und unten kommt es raus, das ausgedroschene Stroh, und wird zu großen, schweren Ballen gepresst. Schied haben wir das genannt, das ist immer so von oben runtergerutscht, immer das nächste. Das Bild habe ich noch im Kopf, das Bild von der Dreschmaschine mit der Strohpresse. Diese ständige, automatische Bewegung. Und ich weiß noch den Gedanken, den ich dabei hatte, nämlich: „So ist das Leben, jetzt bist da droben und allmählich kommst du runter, und dann macht's plumps.“
Man brauchte eine Menge Helfer beim Dreschen. Die einen mussten die Maschine befüllen, die anderen den Abfall wegräumen, die Spreu, das Stroh und das ausgedroschene Getreide. Das war ein Geben und Nehmen. Alle haben helfen müssen. Man wusste schon, der und der und die schicken den und den. Man hat vielleicht 12 Leute gebraucht oder auch 13 oder 14, je nachdem, zwei Sackträger, denn es waren Zwei-Zentner-Säcke, und die haben die Männer auf die Dachböden tragen müssen. Dort ist das Getreide wieder ausgeschüttet worden, damit die Resttrockenheit erreicht wird. Dann war es auch lagerfähig und ist so liegen geblieben, bis es an der Zeit war, es in die Mühle zu fahren. Dann hat man getauscht, so und so viel Getreide gegen so viel Mehl zurück. Auch Gries hat man gekriegt und für das Vieh Schrot und Kleie. Manchmal gab es auch ein kleines Säckchen Weißmehl, das war das Kärwamehl für die Küchle. Das war immer ein besonderes weißes Mehl, damit die Kärwaküchle wirklich was geworden sind.
„… und jedes Frühjahr mussten wir die Keime von den Kartoffeln entfernen.“
Sie haben schon erzählt, dass Sie als Kind mithelfen mussten, bei der Getreide- oder Heuernte zum Beispiel. Das war offenbar eine Selbstverständlichkeit. Erinnern Sie sich noch an andere Tätigkeiten, die Sie so im Alltag verrichten mussten?
Im Alltag, natürlich, da hat man seine Aufgaben gehabt. Wenn ich von der Schule gekommen bin, dann war der Zettel auf dem Tisch gelegen, auf dem stand, was alles zu machen ist. Meistens war erstens, den kleinen Bruder zu versorgen. Aufpassen, dass die Hühner nicht in Nachbars Gärten gehen und dort Schaden anrichten. Jeder versuchte ja, wenn möglich, ein kleines Gartengrundstück zu haben. In Roßtal gab es ja viel Gemeindeland, das man als Gartenparzellen pachten konnte, und so waren bei uns in der Umgebung überall Gärten, und die Gefahr war groß, dass die Hühner dort hingehen, wo sie nicht sollen. Es waren mitunter halt Nachbarn dabei, die weniger freundlich waren, und so hieß es: Pass' bloß auf die Hühner auf, dass da keine Klagen kommen. Und später, als wir erwachsener oder älter waren, gab es zum Beispiel die Aufgabe, den ganzen Winter über aus dem Keller die Futterrüben raufzutragen, die dann gehäckselt worden sind, das war meine Aufgabe. Und wie man es halt so macht als Kind, man macht lieber den Korb ganz voll und plagt sich, damit man einen Weg spart. Aber das rächt sich, irgendwann.
Ja, und jedes Frühjahr mussten wir die Keime von den Äbiern2, den Kartoffeln, entfernen, o'zupfn hieß das. Das war jeden Tag die Aufgabe, denn für die Schweine mussten ja jeden Tag Kartoffeln gedämpft werden. Dafür gab es die Kartoffeldämpfer, die auf dem Herd standen, da ging ungefähr ein Korb voll rein. Das war eine mühselige Arbeit, die mir gar nicht gefallen hat.
Da hab ich geschaut, wie ich mich drücken kann. Es gab zum Beispiel in der Felsenstraße einen jungen Mann, der war, wie will ich das jetzt ausdrücken, schwerstbehindert, und zwar konnte der nicht laufen, der ist wie ein Frosch gehüpft auf allen Vieren. Der Peter war das, und er war der Freund von meinem Onkel, die waren acht Jahre älter als ich. Um zu verstehen, was ich jetzt erzählen will, muss man noch was wissen: Damals gab es jemand in Roßtal, einen Futtermittelhändler, bei dem konnte man einen Sack Oblaten kaufen oder genauer gesagt Waffelbruch, da waren oft noch Stückchen drin von einer Printe oder einem gefüllten Waffelstück. Als Kinder hat man sich die besten Stücke herausgesucht. Aber insgesamt haben wir und andere das als Schweinefutter verwendet. Und da habe ich zu dem Peter gesagt: Wenn du mir meine Äbiern abzupfst, darfst du im Waffelsack kramen. Und auf die Art und Weise hat er mir geholfen.
Da muss ich oft daran denken, auch an den Peter, der war stark behindert und ist dann nach Bruckberg3 gekommen und wäre als „minderwertiges Leben“ eingestuft worden. Aber seine Mutter hat zum Glück die Gefahr erkannt und hat ihn rechtzeitig wieder heimgeholt. Er ist später eines normalen Todes gestorben, daheim in Roßtal.
„Da haben die Leute ihre Weißrüben gewaschen …“
Beim Thema Viehhaltung haben wir vorhin über die Kühe gesprochen. Jetzt haben Sie Schweine erwähnt. Es gab also in so kleinen landwirtschaftlichen Betrieben auch noch eine Schweinehaltung?
Ja sowieso. Also Schweine hat jeder Landwirt gehalten, sogar Leute, die dafür vielleicht nur ein Äckerla hatten und sonst nur Ziegen gehabt haben. Ein Schwein hat das ganze Jahr über für die Familie den Fleischbedarf gedeckt, und hauptsächlich Schmalz hat man gehabt. Damals hat noch kein Mensch was gewusst, dass tierische Fette schädlich sind. Das war die Selbstversorgung. Da war jeder hinterher. Bei uns zum Beispiel, wir haben immer vier Schweine gehabt, weil dann welche verkauft werden konnten, das war wieder eine Einnahme. Auch wenn eine Kuh gekalbt hat, ist das Kalb nach drei, vier Wochen verkauft worden.
Wir haben über die Heu- und Getreideernte gesprochen und darüber, dass Sie schon als Kind stark mitgeholfen haben. War nach der Getreideernte die Feldarbeit für das Jahr beendet?
Nein, dann ging es erst richtig los, im Herbst. Und zwar kam dann noch die zweite Heuernte, die nannte man Grummet. Dann kam die Kartoffelernte, natürlich hat man im Frühjahr erst mal stecken müssen, und schließlich die Rübenernte. Bei der Kartoffelernte gab es in der Regel auch wieder Leute, die mithalfen, die Tagelöhner. Ich erinnere mich an eine Flüchtlingsfrau, das war die Frau Zinke, die uns geholfen hat. Und die Leute haben halt ihr Vesper gekriegt, es war ja eine schlechte Zeit, und die freuten sich um ein Stück Brot und über Eier, auch einmal Geräuchertes hat es gegeben, was halt da war.
Die Leute waren immer zufrieden. Die Kartoffeln hat man noch mit der Hand rausgegraben, und zwar immer zu zweit, jeder ein Beet nebeneinander. Den Ertrag hat man in die eine Furche geworfen, und am Abend ist das alles aufgesammelt worden, erst die großen, dann die kleinen Kartoffeln. Dann wurden sie heimgefahren.
Das war so bei uns: Wir hatten schon einen Keller, aber es gab viele in Roßtal, die hatten keinen Hauskeller, weil die Häuser kaum unterkellert waren. Ich kann mir kein altes Haus denken, das in Roßtal unterkellert ist. Und wenn, dann haben die Leute nur einen kleinen Vorratskeller gehabt mit einer Falltür, meistens von der Küche aus oder vom Flur. Die anderen, die in der Felsenstraße gewohnt haben, die hatten alle ihre Keller in den Felsenbuck reingegraben, das haben die Leute selber gemacht, und dann haben sie die Felsenkeller gehabt. Die waren groß genug, so haben sie ihre Kartoffeln lagern können und die Rüben.
Die größeren Betriebe, die haben auf den Feldern die Mieten angelegt. Das waren viele Rübenmieten, oft 10 Meter lang oder länger. Im Winter haben die Bauern dann immer von Fall zu Fall die Miete aufgedeckt und ein Fuhrwerk voll Rüben heimgefahren. Soviel konnten sie lagern, und die Miete wurde wieder gut verschlossen, damit sie frostsicher war.
Das war auch der Grund, warum wir in Roßtal die Keller am Zinkenbuck haben. Dort haben die Leute nämlich auch die Keller in den Fels gegraben, um ihre Rüben und die Kartoffeln über den Winter zu lagern. Das war Gemeindegrund, und man hat für den Keller auch eine Jahresmiete zahlen müssen, aber ausgraben musste man schon selber. Im Krieg sind diese Keller am Zinkenbuck auch als Luftschutzräume verwendet worden. Damals hat man Durchbrüche geschaffen von einem Keller zum anderen. Die Überlegung war, dass man Leute retten konnte, falls ein Ausgang verschüttet wurde.
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Buttendorfer Weg, von links kommend (später offiziell Pelzleinstraße), vor dem Zinkenbuck die untere Felsenstraße. |
Zu den Rüben wollte ich noch etwas sagen: Nach der Aberntung vom Korn wurden ja weiße Rüben gesät, um noch eine Feldfrucht zu haben, und die waren dann im November erntereif. Aber im November war es kalt, oft hatte es schon geschneit, und es war nass und dreckig. Auf dem Acker war es schlimm, aber man hat die Rüben halt geerntet, weil man sie als Futter gebraucht hat. Dann mussten sie noch gewaschen werden. Zum Glück hatte Roßtal damals noch einen Bach gehabt. Der kommt aus der Wind, so nennt sich das Gebiet im Westen oder Südwesten von Roßtal4. Dieser Bach kam runter zum Brünster Weg und lief dann am Buttendorfer Weg entlang. Da waren früher Gemeindegärten gewesen, die vermietet waren. Der Bach lief da durch, und er wurde von den Leuten zum Bewässern der Gärten genutzt. Dort, wo heute die kleine Verkehrsinsel ist, wo Pelzleinstraße und Felsenstraße zusammentreffen, an diesem Eck, da war der Bach gemauert, und das war die Krautwäsche. Dort kam noch der Zufluss vom Schwalbenhof dazu, so dass der Bach an dieser Stelle ausreichend Wasser hatte. Der Graben war ungefähr 1,5 Meter breit und betoniert, und man konnte dieses Wasser auch stauen, damit genug da war. Da haben die Leute ihre Weißrüben gewaschen, ganze Fuhrwerke voll. Und für die Kinder war das so was wie ein Spielplatz, auch für mich. Da haben wir unsere Weitsprünge geübt, über den Graben hinweg, vor allem wenn wir von der Schule nach Hause gegangen sind.
Die wenigsten wissen das heute noch: Der Bach lief weiter, bis runter, was heute noch der Mühlbach ist, wo dann die Schlossquelle dazukommt, die man noch sehen kann. Alles andere ist ja verrohrt, aber damals war das alles noch offen.
Was ich sagen möchte: So einen offenen Graben oder Bach hat man damals gebraucht. Man war auf die Rüben als Futter angewiesen, und die mussten irgendwo gewaschen werden. Die Winter waren in den 40er und 50er Jahren noch deutlich kälter und auch länger, und das Viehfutter war ein großes Problem. Man hatte Heu und Stroh, das war das Futter für den Winter. Die Rüben waren sehr wichtig oder auch noch andere Ergänzungen. Mein Vater hatte eine Verbindung zu dem Malzmeister der Tucher-Brauerei, und von dem hat er die Keime bekommen, das war das Abfallprodukt, das beim Mälzen anfällt5. Das war getrocknet, wenn man es gekauft hat, und es war ein richtiges Kraftfutter. Aber das gab es nur einmal im Jahr.
Bei uns in Roßtal gab es das Milchauto, weil ja die Milch von den Bauern in den Milchhäusern abgeliefert worden ist. Es gab zwei Milchhäusle, unten, wo die Schlossquelle durchläuft, das war damals die Kühlung für die Milch. Das Milchauto hat die Milch abgeholt und in den Milchhof nach Nürnberg gebracht. Das war kein Tankwagen wie heute, sondern man hat Milchkannen aufgeladen. Der Fahrer hieß damals Hui. Ihm gehörten das Lastauto und auch das größere Milchhäusle, das direkt an der Schlossquelle stand. Auf dem Rückweg nach Roßtal hat er immer irgendwelche Beiladungen gehabt. Und da konnte man auch diese Malz-Keime oder aus der Bleistiftfabrik diese Späne abholen lassen. Die Fuhren konnte man bezahlen, die brauchte man nicht abarbeiten.
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Zeichnung von Georg Hetzelein, Regelsbach, 1941 (im Besitz von Frau Handschuch). |
„Ja, wenn man die Ausgehungerten wirklich gesehen hat …“
Während des Krieges gab es das obligatorische Pflichtjahr für Mädchen, das man unter Umständen zu Hause im elterlichen Betrieb absolvieren konnte. Wie war das bei Ihnen?
Ja, das war so: Da kam diese Verordnung raus, dass jedes Mädchen, bevor es einen Beruf ergreift, ein Pflichtjahr ableisten musste, egal wo. Das konnte im Krankenhaus sein, das konnte in einer Bäckerei oder Metzgerei sein. Und diejenigen, die es zu Hause machen wollten, wie ich zum Beispiel in der Landwirtschaft, und dazu berechtigt waren, weil es der Betrieb erlaubt hat, die mussten, weil sie es ja zu Hause viel schöner gehabt hätten, zwei Jahre machen. Ich habe mich für daheim entschieden, und dann ist aber, bevor die zwei Jahre rum waren, der Krieg aus gewesen.
Und sind dadurch zu Hause neue Aufgaben dazugekommen?
Na ja, da waren dann schon noch mehr Haushaltspflichten, wie Kochen zum Beispiel. Aber grundsätzlich hat sich wenig geändert. Je älter man wurde, desto anspruchsvoller waren die Pflichten, und ich konnte meine Mutter stärker entlasten.
Die Kriegs- und Nachkriegszeit ist ja allenthalben von Mangel geprägt. Nun kann ich mir vorstellen, dass, wenn man eine Landwirtschaft hatte, das eigentlich sehr von Vorteil gewesen ist.
Ja, das kann man wohl sagen, also Hunger habe ich nicht kennengelernt. Höchstens dann, wenn die Mama gesagt hat: Esst mal nicht zu viel Brot, ich habe keine Zeit zum Brotbacken. Wenn sie das nicht gesagt hätte, dann hätten wir gar nicht dran gedacht, dass man zusätzlich ein Brot will, aber als sie es gesagt hat, hat man daran denken müssen, dass man eigentlich noch ein Brot essen könnte. Aber das war kein Mangel, das lag nur an der fehlenden Zeit, während der Ernte zum Beispiel. Brot gebacken hat man ja nur alle drei, vier Wochen, und das hat eben gereicht.
Natürlich ist gespart worden hinten und vorne, weil ja aus Nürnberg die vielen Hamsterer gekommen sind. Und da hat jedes Haus seine bestimmten Leute gehabt, die sind alle Woche gekommen und wenn es nur um ein Ei war oder um einen Schoppen Milch. Das musste aber von den eigenen Rationen abgespart werden, weil ja alles bewirtschaftet war. Pro Kuh kam der Milchmesser einmal im Monat und hat gemessen, wieviel Milch die Kuh gibt. Das wurde hochgerechnet und das Soll musste man erfüllen.
Und da ist es oft passiert, dass die Mama gesagt hat: Geht nicht, wir haben nichts. Am fehlenden guten Willen ist es nicht gelegen, sie hätte den Leuten schon was geben wollen. Die waren oft froh über ein paar Kartoffeln. Ja, wenn man dann die Ausgehungerten wirklich gesehen hat…
Ich weiß, der Buchhalter in dem Geschäft, in dem mein Vater gearbeitet hat, der ist immer sonntags gekommen zum Mittagessen. Ich war noch ein Kind und habe gedacht: Immer kommt der, immer kommt der. Wir hatten zwar Fleisch, aber wenn ich heute sage, das waren 20 Gramm, dann wird das stimmen. Da gab es ein Pfund Fleisch, und das hat man aufgeteilt auf fünf Leute. Ob abends oder mittags, es gab nur so ein Versuchele. Aber es war halt so, dass die Leute ausgehungert waren, man hat es ja gesehen, alles hat geschlackert. Aber selber hatten wir keine Not, wie gesagt, Brot hatten wir immer gehabt, auch Milch und auch einmal ein Schmalzbrot. Und wir hatten ja auch das geräucherte Fleisch vom Schwein. Das war aber auch rationiert. Pro Kopf gab es ja nur so und so viel. Und ich weiß, dass ich angerechnet worden bin. Wir waren zu viert in der Familie, und bereits für drei Leute gab es, glaube ich, ein Schwein. Jedenfalls weiß ich, dass ich bei meinen Großeltern aufgeführt worden bin, damit die ein Schwein schlachten konnten. Sie haben dann meinen Teil an uns rausgeben müssen. So bewirtschaftet war das alles.
„… und dann kamen die Fliegergeschädigten …, dann die Heimatvertriebenen“
Schon während des Krieges gab es in Roßtal Einquartierungen. War Ihre Familie davon betroffen? Wenn ja, sind dadurch zusätzliche Belastungen auf sie zugekommen?
Ja, wir hatten Einquartierungen. Und zwar hieß es da auf einmal: Das Saarland wird evakuiert6. Bei uns waren zwei kleine Räume frei, denn vorher gab es eine Bestimmung, dass Leute (ich weiß die Zahl nicht mehr so genau), dass also Familien ab so und so vielen Kindern ein Behelfshaus bauen konnten. Das war im Krieg. Vorher schon gab es diese Siedlungen für Kinderreiche, die wir in der Kappel draußen hatten, das waren Häuser. Aber diese Behelfsheime waren viel kleiner, sie waren ebenerdig und in der Größe ähnlich wie ein Waggon von einer Eisenbahn, so lang und wohl etwas breiter. Wir hatten Leute im Haus wohnen zur Miete, und die hatten sich so ein Behelfsheim gebaut. Jetzt waren bei uns die zwei Räume frei. Es waren ursprünglich drei, aber ich war ja dann auch schon 14 und habe endlich ein eigenes Zimmer gekriegt, das ich mit meinem Bruder nicht mehr teilen musste. Es gab also die zwei Räume, das waren kleine Dachzimmer mit schrägen Wänden. Und eines Tages kamen 11 Saarländer, die zugewiesen worden sind. Ja, wie sollen 11 Leute in diesen zwei kleinen Räumen unterkommen? Dann haben sie zwei abgezogen, die haben auswärts, also in anderen Häusern, geschlafen, aber tagsüber waren sie hier. Es ging ganz gut, es waren Holzarbeiter aus dem Saarland, die wohl in den Gruben geschafft haben. Die haben dann fest mitgeholfen, weil sie ja keine Arbeit hatten, nicht nur bei uns, sondern auch im Ort bei den Bauern. Und als der Krieg aus war, sind sie ja wieder heim.
Und dann kamen zu uns die Fliegergeschädigten ins Haus. Dann kamen die Vertriebenen aus dem Sudetenland oder Schlesien oder sonst irgendwo her. Davon waren wir aber nicht betroffen, weil wir bereits belegt waren. Überhaupt habe ich daran nur wenige Erinnerungen, denn ab 1947 hab ich bei der Bayern Werk AG in Nürnberg gearbeitet, und da habe ich nicht mehr so viel wahrgenommen, was in Roßtal passiert ist.
Trotzdem waren natürlich viele Heimatvertriebene hier im Ort7, die man nicht übersehen konnte. – Wie war das bei jungen Menschen? Blieben die Roßtalerinnen und Roßtaler, die schon immer hier gelebt haben, unter sich? Gab es eine Distanz zwischen diesen und den jungen Leuten, die aus einer Familie von Heimatvertriebenen abstammten?
Ja, ich entsinne mich; ich meine, das war schon 1946, als ich die erste Berührung hatte mit einem Flüchtling, so hat man halt gesagt, von Vertriebenen war noch nicht die Rede. Das war in der Tanzstunde. Für uns war das irgendwie normal, möchte ich sagen, dass diese jungen Leute auch da waren. Da war jeder froh, dass wieder jemand da war, es waren ja so viele gefallen, und es waren ungeheuer große Lücken an jungen Männern, und da habe ich einen Tanzstundenherrn gehabt, der war aus dem Sudetenland. Aber auch wenn es Flirts oder was auch immer gegeben hat, ich bin überzeugt, es war so, dass der Unterschied, ob nun begütert oder nicht, keine Rolle gespielt hat. Denn nach dem Krieg waren alle arm, na ja vielleicht nicht arm, aber wir hatten keine Reserven mehr, es war alles aufgebraucht.
Damit sind wir nochmals bei dem Begriff Mangel. Mangel bedeutet nicht nur, dass evtl. Nahrungsmittel nicht ausreichend vorhanden waren. Mangel kann sehr vielfältig sein.
Wenn ich dran denke: Ich bin ja gewachsen, aber es gab keine Kleidung zum Anziehen. Man hat die ältesten Sachen aufgetrennt, hat den Stoff gewendet und wieder verarbeitet. Und da entsinne ich mich noch gut, dass die Freundin von meiner Mama mir zwei Kleider aus Crepe de Chine geschenkt hat, das war ein Seidenstoff in Rosa und Flieder, und sie hat gesagt: Da kannst du dir ein Kleid draus machen. Und ich bin stolz auf die schönen Stoffe gewesen. Gleich nach dem Krieg bin ich in die Frauenarbeitsschule nach Fürth gegangen, und dort habe ich mir ein wirklich schönes Kleid genäht und es zum Tanzen angezogen. Aber beim ersten Tanzvergnügen, allein durch die Hand des Herrn im Rücken, riss der Stoff, der war so brüchig. Solche Sachen sind schon passiert, aber man hat eben nichts mehr gehabt.
Es waren überall die Lücken da. Bei unserer Familie kam noch dazu, dass meine Eltern 1934 neu gebaut haben. Und da war Sparen das Hauptwort. Alles ist zu Geld gemacht worden, damit die Schulden nicht erdrückend waren. Und drum war auch nichts Überflüssiges im Haus, alles, was da war, ist auch gebraucht worden.
Zwischen alteingesessenen Roßtalern und Heimatvertriebenen gab es einen ganz gravierenden Unterschied. Die Roßtaler waren evangelisch und die meisten Heimatvertriebenen waren katholisch. Haben sich Ihrer Erinnerung nach daraus Probleme ergeben?
Ja leider. Also das war ein Kapitel für sich und hat wohl oft zu Streit geführt, weil sich eben die Ansässigen schwer taten mit den Katholiken, die auf einmal da waren, denn der Ort war ja fast total protestantisch. Da war die Zurückhaltung schon sehr groß. Und wenn es dann bei den Jugendlichen ernst wurde, wenn sie fest miteinander gegangen sind und heiraten wollten, dann konnte es schon schwierig werden. Wenn die häuslichen Bedenken besiegt waren, dann kam wohl auch noch der Druck von außen, durch den Pfarrer. Und das hat die Sache oft noch verschlimmert. Da ist in den ersten Jahren sehr, sehr viel Porzellan zerbrochen worden, so möchte ich das schon sagen. Aber im Laufe der Zeit ist das anders geworden; ich glaube nicht, dass das noch irgendeine Rolle spielt.
„Wir hatten ein unglaubliches Glück mit unseren Lehrern …“
Wenn Sie in Ihrem Leben zurückblicken: Können Sie Roßtaler Persönlichkeiten nennen, die Sie besonders beeindruckt oder geprägt haben?
Ja, doch, da gibt es schon welche. Da muss ich aus meiner Schulzeit erzählen. Wir hatten ein unglaubliches Glück mit unseren Lehrern. Wir hatten drei Jahre lang eine Dame, Fräulein Wassermann hieß die, die war einfach vorbildlich. Wir haben ungeheuer viel von ihr gelernt. Sie hat jeden Tag ein Diktat abgehalten; das haben wir auf unsere Schiefertafeln geschrieben. Dann hat sie immer Gruppen gebildet, also ungefähr aus acht Leuten. Die Gruppen mussten sich im Klassenzimmer aufstellen, und dann gab es Rechenaufgaben, das waren sogenannte Kettenrechnungen. Und es gab eine Gruppenmutter oder einen Gruppenvater, die haben jeweils ihre Gruppe geführt. In der Zwischenzeit hat sie diese ganzen Schiefertafeln korrigiert. Wir waren 45 Kinder. Die Tafeln haben wir auf die Schulbank außen hingelegt, und da ging sie durch und hat alle korrigiert und mit der Kreide jeden Fehler fünf Zentimeter lang angestrichen. Am Schluss hat sie hingeschrieben, wie viel Fehler man gemacht hat. Hatte jemand fünfmal hintereinander null Fehler, dann ist man von ihr belohnt worden, mit irgendeiner Süßigkeit. Und jeden Tag ein Diktat. Wir haben einfach Rechtschreiben gelernt, das war etwas fürs Leben.
Und dann haben wir den Lehrer Rohn8 gekriegt. Also bei dem war Deutsch das aller wichtigste. Er hat unsere Klasse nicht mehr abgegeben, wir hatten ihn vier Jahre lang. Ich glaube, das wollte er so, denn wir waren wirklich eine gute Klasse, das darf ich einfach sagen. Und dem Lehrer Rohn haben wir auch viel zu verdanken, denn er war ein Botaniker. Wir haben von ihm viel gelernt und, wie gesagt, Deutsch war seine Stärke. Heute kann man ermessen, dass es wichtig war. Damals haben wir schon auch geschimpft, weil wir jeden Tag Sprachlehre hatten.
Und dann kam die 8. Klasse beim Lehrer Groh9. Er war der ersehnte Lehrer von allen, er war damals ein junger Lehrer, einmal das, und zum anderen hat er hier in unserem Ort die Kultur belebt und vorangebracht. Das muss man wirklich so sagen. Er hat, nur ein Beispiel, das Laienorchester Musikfreunde gegründet, 1928 schon, dann hat er Theaterstücke aufgeführt und zum Beispiel auch die Märchenoper Hänsel und Gretel von Engelbert Humperdinck. Da waren wir auch involviert, und zwar als die 14 Engel. Da haben wir die Nachthemden gekriegt von den Lehrern, denn die Dorfkinder hatten kein Nachthemd gekannt. Und zu den Nachthemden hat man uns ein goldenes Band umgebunden. Das war ein Ereignis, wenn man da im Kandelsaal stand vor den vielen Besuchern. Wir waren damals noch in der Grundschule, aber nicht bei Frau Wassermann, sondern bei Herrn Groh haben wir Singen gehabt. Das war wohl der Grund, weshalb er aus unserer Klasse die 14 Engel ausgesucht hat. Jedes Jahr war eine Aufführung. Soweit ich mich erinnern kann, wurde immer ein anderes Theaterstück aufgeführt.
Also Ludwig Groh war sehr für die Kunst, sei es nun Musik, sei es Theater oder Malerei. Wir haben von allem wirklich etwas mitgekriegt. Wir waren ja Dorfkinder und haben in unserer Welt gelebt. Aber er hat uns gezeigt, dass es noch andere Dinge gibt, er hat unseren Blick und unseren Verstand geöffnet. Ich glaube, das hat bei vielen ein Leben lang nachgewirkt. Er war auch der Mann, der bei vielen Roßtaler Kindern erkannt hat, wenn in denen irgendein Talent steckte, und das hat er gefördert. Er ist zu den Eltern gegangen und hat gesagt, hört mal, euer Sohn, eure Tochter, für die wüsste ich einen Beruf. Ich habe erlebt, dass er bei der Nachbarin war. Da war der Vater gefallen, und für die Tochter, es war nur die Stieftochter zu der Frau, hat er vorgeschlagen, sie soll technische Zeichnerin werden. Ich hab' dann mit angehört, wie die Frau zu meiner Mutter gesagt hat: Das müsste mir einfallen, wenn ich der ihre dreckige Wäsche waschen soll. Das Mädchen musste dann zu einem Bauern. Denn das war ja damals oft das Einzige, als Dienstbote unterzukommen. Es waren die wenigsten, die einen Beruf ergreifen konnten oder durften, also vor allem wenn es sich um Mädchen gehandelt hat. Es gab nur die bäuerlichen Betriebe oder, wenn ein Mädchen Glück hatte, ist es zu einem Bäcker gekommen oder in einen anderen Haushalt. Erst wenn man das weiß, versteht man, was Herr Groh für seine Schülerinnen und Schüler erreichen wollte. Ich nenn' jetzt keinen Namen, aber ich weiß, dass Herr Groh vielen Roßtalern Musikstunden gegeben hat, unentgeltlich, nur der Musik und den jungen Menschen zuliebe.
Sie haben im Vorgespräch kurz erwähnt, dass für Sie Ihr Konfirmationsspruch eine große Bedeutung in Ihrem Leben hatte und immer noch hat. Ich möchte Sie zum Schluss nach diesem Konfirmationsspruch fragen.
Ja, ja. Das muss ich sagen, ich habe oft gedacht, wenn der Pfarrer Sperl wüsste, was er mir mit auf den Weg gegeben hat durch meinen Konfirmandenspruch. Und zwar hieß der: Harre des Herrn! Sei getrost und unverzagt und harre des Herrn (Psalm 24,149).
Frau Handschuch, vielen Dank für das Gespräch.
Gerne!
Anmerkungen
1 | Buck ist die Kurzform für Buckel, im Sinne von Berg oder Felssporn. In der Roßtaler Umgangssprache hat diese Bezeichnung eine lange Tradition und ist noch in Straßennamen lebendig (Höhbuck, Zinkenbuck). Der Zinkenbuck wird beispielsweise in einem Schreiben von 1701 des Roßtaler Richteramtes an die markgräfliche Kanzlei in Ansbach erwähnt. Es ging darum, dass unter dem Zinkhenbukh ein neues Schießhaus für die Bürgerwehr gebaut werden sollte. Der Name ist aber sicher noch viel älter. Vgl. Roßtal. Vergangenheit und Gegenwart. Roßtal 1978/79, S. 337–350, hier S. 339. Das Wort buckel oder buck kommt ursprünglich von dem halbrunden, erhabenen Metallbeschlag in der Mitte eines Schildes, lat. buccula. Vgl. M. Lexer: Mittelhochdeutsches Wörterbuch. |
2 | Adolf Rohn verwendet in seinem Roßtaler Heimatbuch (S. 77) die Schreibweise Aehbirn. Auf jeden Fall ist es eine dialektale Verballhornung von Erd-Birne. Frau Handschuch erinnert sich, dass die während des Krieges einquartierten Saarländer die Bezeichnung Grumbeern verwendeten, auf Hochdeutsch Grund-Birne. Die Sudetendeutschen brachten aus Böhmen noch eine andere Bezeichnung für Kartoffel mit, die auch in Österreich und in der Schweiz gebräuchlich ist oder war: Erdäppel, also Erd-Äpfel oder Singular Erd-Apfel (vgl. im Französischen pomme de terre). Diese regional unterschiedlichen Namen entstanden wahrscheinlich im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, als sich der Kartoffelanbau verbreitete und man im gängigen Wortschatz nach einer Bezeichnung für die neue Frucht suchte. In der Gegenwart erleben wir, dass diese Begriffe kaum mehr gebraucht und wohl aussterben werden. Vgl. Gunther Schunk u.a.: Wörterbuch von Mittelfranken. Eine Bestandsaufnahme aus den Erhebungen des Sprachatlas von Mittelfranken. Würzburg 2001. Als Schreibweise für Erd-Birne werden hier Eäbiä und Äbbiiän angeboten. |
3 | Die Einrichtungen für Behinderte in Bruckberg werden vom Diakoniewerk Neuendettelsau betrieben. Das war auch während der NS-Zeit so. Obwohl es sich also in Neuendettelsau und Bruckberg um kirchliche Einrichtungen handelte, fielen Insassen der nationalsozialistischen "Euthanasie"-Aktion zum Opfer, die im Herbst 1940 begann. In der Regel wurden die körperlich, geistig oder seelisch Behinderten in staatliche Heime verbracht und dort durch Medikamente oder Gift ermordet oder man ließ sie langsam verhungern, indem man sie der sog. "E-Kost" ("Euthanasie-Kost") aussetzte. Die Bemerkung von Frau Handschuch ist auch deshalb interessant, weil sie zeigt, dass das verbrecherische Vorgehen in der Bevölkerung bekannt war. Aus den Neuendettelsauer Anstalten wurden insgesamt 1205 Personen deportiert. Vgl. Harald Jenner, Joachim Klieme (Hg.): Nationalsozialistische Euthanasieverbrechen und Einrichtungen der Inneren Mission: eine Übersicht. Reutlingen: Diakonie-Verlag 1997. Zu Neuendettelsau einschließlich Bruckberg: Karl Fuchs: Neuendettelsauer Behindertenarbeit im "Dritten Reich". Ein Diskussionsbeitrag zum dunkelsten Kapitel Neuendettelsauer Behindertenarbeit. In: Zeitschrift für Bayerische Kirchengeschichte, 71. Jg. 2002, S. 152–186. Hans Rößler: Nationalsozialismus in der fränkischen Provinz. Neuendettelsau unterm Hakenkreuz. Neuendettelsau 2017, vor allem S. 169–180. |
4 | Zu den Flurbezeichnungen vgl. Roßtal. Vergangenheit und Gegenwart. Roßtal 1978/79, S. 35. Die Flur In der Wind erstreckt sich nördlich und wohl auch etwas südlich der Straße nach Clarsbach, und zwar hinter der Bahnunterführung am Ortsausgang und vor dem ersten Wald. |
5 | Beim Mälzen wird die Braugerste zunächst eingeweicht, so dass sie Keime austreibt. Diese werden im weiteren Prozess wieder entfernt. |
6 | Evakuierungsgebiet war die sog. Rote Zone entlang der deutsch-französischen Grenze; so bezeichnete man das Gefechtsfeld vor und zwischen den Wehranlagen des Westwalls. Betroffen war nicht nur das Saarland, sondern ein 400 km langer und etwa 10 km breiter Gebietsstreifen. Die erste "Freimachung" fand zu Kriegsbeginn 1939 statt, als man mit einem französischen Vorstoß gegen das Reichsgebiet rechnete. Als sich nach einem Jahr die militärische Lage völlig verändert hatte, wurde größtenteils die Rückkehr gestattet. Frau Handschuch spricht von der zweiten Evakuierung, die mit der Landung der Alliierten in der Normandie einsetzte (Juni 1944). Der Großteil des Besitzes (z. B. das Vieh) musste zurückgelassen werden. Erlaubt waren 30 kg Gepäck pro Person. Nach dem Krieg kehrten die Menschen in ein oft völlig zerstörtes Gebiet zurück. Vgl. Annette Bak: Heute noch müssen wir weg! Evakuierungen im saarländisch-lothringischen Grenzgebiet 1939 und 1944. Saarbrücken: Geistkirch-Verlag 2016. |
7 | Vgl. dazu die letzte Ausgabe der Roßtaler Heimatblätter: Reinhard Baumann, Siegfried Münchenbach: Heimatvertriebene in Roßtal – Vertreibung, Ankunft, Integration. Roßtaler Heimatblätter Heft 53 (2017), S. 19–35. |
8 | Frau Handschuch erwähnt Rohns Qualitäten als Deutschlehrer und Botaniker; aber ihm verdankt Roßtal auch die erste ortsgeschichtliche und volkskundliche Publikation mit wissenschaftlichem Anspruch: Adolf Rohn: Heimatbuch von Roßtal und Umgebung. Roßtal: Selbstverlag 1928, XIV, 112 Seiten. Adolf Rohn (1885–1942) war von 1926 bis 1941 Lehrer und Rektor an der Volksschule Roßtal. |
9 | Ludwig Groh (1900–1971) kam 1925 als Junglehrer nach Roßtal, 1948 bis zu seinem Ruhestand 1966 war er Rektor. Hunderte von Roßtaler Kindern sind durch seinen Unterricht gegangen. Im Jahr 2000 war ihm im Heimatmuseum eine Ausstellung gewidmet, die sein kulturelles Wirken in Roßtal vor Augen führte: So war er seit 1928 Organist an St.-Laurentius. Den Männergesangverein 1869 dirigierte er von 1930 bis 1963. Er war ein Multitalent: Komponist, Schriftsteller und Maler. Zum 600-jährigen Jubiläum der Verleihung des Marktrechtes im Jahre 1928 schrieb und komponierte er das Singspiel »Die verschollene Glocke« und zur 1000-Jahr-Feier 1955 inszenierte er seine romantische Komödie »Der Richter von Horsadal«. Groh schrieb Romane, Märchen und zahlreiche Balladen. Ein Roman wurde als Hörspiel im Rundfunk gesendet. Das von Ludwig Groh 1928 gegründete Orchester der Musikfreunde Roßtal leitete er bis zu seinem Tode 1971. In diesem Zeitraum führte das Roßtaler Orchester u.a. das umfangreiche kompositorische Werk seines Dirigenten auf. 123 Konzerte sind belegt. Vgl. Elisabeth Knoll: 100. Geburtstag Ludwig Groh. – Sonderausstellung vom 13. August bis 5. November 2000. In: Roßtaler Heimatblätter Heft 38 (2001), S. 3–4. Vgl. auch Hans Schrodberger: Ein Schulmann mit Musenkuss. Die Roßtaler würdigen ihren Komponisten zum 100. Geburtstag. In: Fürther Nachrichten vom 11.8.2000, (Ausgabe Fürth-Land), S. 7. |