Sonderausstellung

Die Gassneri –
halb Roßtal auf die Welt geholfen, Hebamme 1911–1957

Margarete Gastner, geboren am 14. Juni 1887 in Klarsbach (jetzt Clarsbach), als Kind des Gütlers Johann Michael Gastner und seiner Ehefrau Eva Barbara, geborene Roth, hat als Hebammen-Kandidatin die Königliche Hebammenschule, Erlangen vom 01. Nov. 1910 bis 01. April 1911 besucht und die Prüfung als Hebamme mit der Note 1 (II. Preis) absolviert und ist befähigt, den Hebammenberuf auszuführen.

Am 12. Mai 1910 bestätigt der Magistrat der königlich bayerischen Stadt Nürnberg „der Margarete Gastner, Köchin, … gemäß Regierungsentschließung vom 27. April 1910, daß sie zum Hebammen-Lehrkurs in Erlangen zugelassen werde. Sie wird deshalb angewiesen, sich am 01. Juni 1910, vormittags 9.00 Uhr bei der Königlichen Direktion der Hebammenschule in Erlangen zu melden und den Unterhaltsbeitrag von 350.-- RM mitzubringen“.

Mit Gott – so beginnen dann am 24. Juni 1911 die Aufzeichnungen der insgesamt 2504 Geburten, sie enden am 20. Februar 1957. Zu diesem Zeitpunkt war »die Gassneri« fast 70 Jahre alt, wahrlich ein lange Zeit!

Es war keine leichte Tätigkeit, vor allem wenn man das Gebiet betrachtet, welches »die Gassneri« zu betreuen hatte. Im Westen Müncherlbach, im Süden Defersdorf, Weiler und sogar manchmal Regelsbach, im Osten Gutzberg, im Norden Weinzierlein und aushilfsweise auch Ammerndorf und das alles mit dem Fahrrad, wahrlich eine Höchstleistung. Das Fahrrad hatte ihr eine Ärztin aus Erlangen zu günstigen Bedingungen überlassen.

Dazwischen ist belegt, daß sie an Wiederholungskursen an der Königlichen Hebammenschule in Erlangen teilgenommen hat.

Der Hebammen-Kandidatin bescheinigt der Königliche Bezirksarzt am 08. April 1910,„…hierbei hat sich ergeben, daß dieselbe körperlich gesund und von nicht wahrnehmbaren Gebrechen, welche sie für den Hebammenberuf untauglich machen könnte, befunden wurde. Auch daß dieselbe sich z. Zt. nicht in Zuständen der Schwangerschaft befindet, frei ist von eiternden Wunden und Geschwüren und geistig genügend entwickelt und zur Erlernung des Hebammen-Berufes genügend vorgebildet und intelligent ist.
gez. Der Königliche Bezirksarzt Dr. Marder“

Wenn man die 46 Jahre ihrer Tätigkeit betrachtet und etwas rechnet, so kommt man auf über 50 Geburten im Jahr. Die Betreuung einer Wöchnerin erforderte aber stets mehr Besuche als nur die Niederkunft. Im Durchschnitt waren dies noch 4 bis 5 Betreuungen.

So muß man wissen, daß die Hebamme auch das Kind, manchmal schon am 2. Tag, zusammen mit der Patin und dem Vater zur Taufe in die Kirche tragen mußte, nicht immer war es möglich von auswärts mit dem Pferdefuhrwerk ins Kirchdorf zu fahren. Oft mußte der Weg zu Fuß zurückgelegt werden. Die Wöchnerin, so war der Brauch, durfte erst nach 6 Wochen das Haus verlassen, sie galt bis zu diesem Zeitpunkt als „unrein“.

Zu den Pflichten einer Hebamme nach der „Dienstanweisung für Hebammen des Königreiches Bayern von 1905“ heißt es:

§ 1: Die Hebammen sollen einen nüchternen und ehrbaren Lebenswandel führen und durch Gewissenhaftigkeit in Erfüllung ihres verantwortungsvollen Berufes die Liebe und das Zutrauen ihrer Mitbürgerinnen zu erwerben und zu erhalten versuchen.

§ 2: Den Bezirksärzten, wie überhaupt den vorgesetzten Behörden, sind Hebammen Gehorsam und Achtung schuldig…

§ 8: Die Hebammen haben solche Beschäftigungen zu meiden, durch welche die Tüchtigkeit ihres Berufes beeinträchtig wird. Es ist untersagt, die Dienste einer Leichenfrau oder Seelnonne zu versehen … keine Hebamme darf ohne Erlaubnis der Distrikts-Polizeibehörde eine Schwangere zur Niederkunft bei sich aufnehmen.

§ 9: Die Hebammen sollen allen Frauen, welche ihrer bedürfen, ohne Unterschied des Standes und Vermögens bei Tag und Nacht ohne Aufschub Beistand leisten.

Die eigene Familie – der Mann und die drei Kinder geboren 1912, 1917 und 1919 – mußten zurückstehen. So schreibt die Tochter Lina „An einem Heiligen Abend, die Mutter bereitete gerade die Bescherung vor, läutete die Hebammenglocke und Mutter mußte alles im Stich lassen und zu einer Frau nach Fernabrünst, ja wir mußten sie oft entbehren!“

Ein Beruf mit vielen Paragraphen so ist außerdem festgelegt, daß „Frauenspersonen, welche das 20. Lebensjahr noch nicht erreicht oder das 36. überschritten haben nur die Hebammenschule besuchen können.“

Noch 1910 gelten Gesetze von König Ludwig II. aus dem Jahre 1874.

Dann im Jahre 1936 kommen neue Bestimmungen, so heißt es nun in der Satzung der Hebammen-Bezirksgruppe Fürth/Bayern:

§ 2: Die Hebammen-Bezirksgruppe hat die nationalsozialistische Gesinnung ihrer Mitglieder zu pflegen und sie zu bewußter Mitarbeit an Staat und Volk zu erziehen …

§ 4: … jedes Mitglied ist verpflichtet die Gruppenversammlungen regelmäßig zu besuchen. Bei unentschuldigtem Fernbleiben kann eine Geldstrafe verfügt werden …

Ein ganzes Leben lang Pflichten und Hilfe für jeden, der sie benötigte!

Die Entlohnung erfolgte öfters auch in Naturalien.

Erst nach dem 2. Weltkrieg übernahm dann die Krankenkasse die Kosten und so wurden auch die Fahrten bezahlt, die sie dann mit dem Taxiunternehmen Riedel machen konnte, wenn sie auswärts gebraucht wurde.

Am 09. Januar 1970 ist das verantwortungsvolle, arbeitsreiche Leben, nach fast 83 Jahren zu Ende gegangen, davon 46 Jahre als Hebamme in Roßtal.

Wir danken den Familien Gastner für die uns überlassenen Dokumente, Hebammenutensilien, Bilder und Aufzeichnungen, die dem Museumshof-Archiv zugeführt werden.

Roßtal, im August 1996
Elisabeth Knoll